Las piñatas
Transkulturelle Kulturkugeln? Piñatas
als artesania, Meme und lootbox
‚Transkulturalität‘ sollte, […], darauf hinweisen, dass die zeitgenössische Verfassung der Kulturen jenseits der alten, kugelhaften Verfassung liegt und dass dies eben insofern der Fall ist, als die kulturellen Determinanten nunmehr quer durch die Gesellschaften hindurchgehen, so dass kulturellen [sic.] Verhältnisse inzwischen durch Verflechtungen und Gemeinsamkeiten gekennzeichnet sind (Welsch 2017: 12)
Kann die Kugel daher nicht als transkulturelles Objekt fungieren? Können komplexe Verflechtungen und Gemeinsamkeiten nicht in einer Kugel abgebildet werden?
Ein Paradebeispiel für eine solche Kulturkugel ist die piñata, welche über ihre religiöse und symbolische Bedeutung hinaus –am Vorweihnachtsfest der posadas in Mexiko – auch populäre Repräsentationsformen zulässt: Sei es als Superheld Hollywoods oder die lateinamerikansichen Varianten des Chavo del Ocho oder Chapulin Colorados, als plastische Darstellung und somit auch Chronistin der mexikanischen Medienökonomie, Kunstgalerie oder durch die Videospielindustrie als lootbox.
Auch lassen sich dadurch komplexe gesellschaftliche Stimmungen in einem multimodalen, aber auch multimedialen Kontext transportieren. Ein Beispiel dafür sind Fernsehbilder eines Überfalls, in denen der Räuber kopfüber wie eine piñata am Fenster hängt und von einem Mann mit einem Stock geschlagen wird, während die Menge auf der Straße das bekannte Lied zum piñata Ritual anstimmt: „Dale, dale, dale, no pierdas el tino […]“. Selbst Phänomene der impunidad und dem entsprechenden Gerechtigkeitsgefühl der Selbstjustiz lassen sich ritualisiert, aber auch spontan in die Praktiken der piñata überführen und medial als kurioser Fernsehbericht wiedergeben.
Welche Werkzeuge und
Perspektivierungen werden benötigt, um sich der
piñata transkulturell zu nähern? Die Kugel scheint
als kulturelle Perspektivierung möglich und relevant,
solange man folgendes berücksichtigt:
- Eine konkrete Beschreibung der Räume und Repräsentationsformen.
- Berücksichtigung der konkreten Materialitäten und Relationen der Systeme.
- Deskriptive Lokalisierung der Praktiken.
- Diskussion der gebrauchten Konzepte und Annahmen.
Die piñata deckt somit eine Bandbreite an Funktionen in unterschiedlichen Räumen und Kontexten ab: vom religiösen Ritual, über ökonomisch-populäre artesanía, kulturelles Objekt und Chronistin der Medienökonomie bis hin zur kulturellen Vereinnahmung in Monetarisierungspraktiken der Videospielindustrie sowie Produktion eigener Spielzeuge basierend auf der Adaptation dieses Objektes, die Llama piñata in Fortnite.
Ein weiterse Beispiel wäre der Kurzfilm La madre buena von Sarah Clift, in der eine Trump-piñata eine zentrale Rolle spielt sowie der Werbespot für die Fortnite-piñata, welcher jedoch auch von hunderten DIY-Anleitungen zum Eigenbau der piñata auf YouTube flankiert wird.
La Madre Buena (The Good Mother) Film from Sarah Clift on Vimeo.
Anhand dieser Repräsentationsformen wird deutlich, wie selbst das mediale und globale Produkt auch Spuren einer lokalen artesania in einem veränderten Kontext erhalten kann.
Mehr folgt in Bouchard, Hans (in Vorbereitung): „La piñata como meme, artesanía y objeto transcultural: de las posadas, galerías de arte en Facebook hasta una lootbox en Fortnite“. In: Apropos 7. Diego Labra, Javier Guiamet (eds): Producir y consumir cultura en la América Latina del siglo XXI.
Und im Dissertationsprojekt: El "señor YouTube": Mexiko in den virtuell-medialen Räumen der Produktion und Vernetzung.
Abbildung 1: Piñata in der klassischen Ästhetik in einem Laden in Metepec, Estado de México 2013 (Foto von Martha Monroy)
Abbildung 2: Coronavirus Piñata sowie Putin-Impfpiñata nach der Ankündigung des russischen Impfstoffs Sputnik V (Piñateria Ramirez 14.08.2020).