Integration von Infrastrukturen in Europa vor dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg im Vergleich
Teilprojekt: Integration im Eisenbahnwesen

Die Entwicklung des Eisenbahnsystems im 19. Jahrhundert vollzog sich im Wechselspiel privater und öffentlicher Akteure, wobei erstere oft die Initiative zum Bau einer Strecke ergriffen. Ausgehend von zunächst isolierten Einzelprojekten entstanden schon bald Visionen großräumiger Netze, die bis etwa 1870 im Wesentlichen umgesetzt waren. Schon dabei kam es zu der Notwendigkeit, die zum Teil nach unterschiedlichen Standards gebauten Infrastrukturen zu integrieren.
Im Mittelpunkt der Arbeiten des Teilprojekts steht die Frage, wie ausgehend von den unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Länder und Unternehmen ein gemeinsames (oder zumindest kompatibles) Verständnis der im internationalen Austausch zu lösenden Harmonisierungen entwickelt wurde (oder auch scheiterte) und abgestimmte Lösungen entstanden. Integration stellt sich aus dieser Perspektive als ein Koordinations- und Verhandlungsproblem dar, das die Erfahrungshorizonte der Akteure als wesentliche Randbedingung berücksichtigen muss. Dies schließt auch die mehr oder weniger umfangreichen "Integrationserfahrungen" (d.h. den Kontakt zu anderen Ländern) und das gesellschaftlich-politische Umfeld ein.
Im Teilprojekt Eisenbahn sollen drei Paare von Fallstudien
vertieft untersucht werden, für die jeweils ein Aspekt aus der
Zeit von ca. 1860 bis 1914 und der Periode ab 1949 bis ca. 1970
betrachtet wird:
a) Internationale Infrastrukturprojekte als Beispiel für die
wirtschaftliche und verkehrliche Integration und ihre Umsetzung
in konkreten Projekten.
b) Internationaler Personenfernverkehr als Beispiel für die
Verständigung über betriebliche und Qualitätsstandards.
c) Internationale Tarife als Ausdruck unterschiedlicher
wirtschaftlicher Leitbilder, aber auch als
abstimmungsbedürftiger und mit geeigneten Verfahren
(administrative Standards) in der Praxis umzusetzender
Bereich.
Nach dem 2. Weltkrieg dominierte bei der weiteren Entwicklung des Eisenbahnsystems die nationale Perspektive. Dies zeigt sich etwa an der industriepolitisch motivierten Entstehung unterschiedlicher Betriebstechniken und Fahrzeugkonzepte, der sich die inzwischen verstaatlichten Verkehrsunternehmen nicht entziehen konnten. Auch die beginnende europäische Integration ließ eisenbahn- und allgemein verkehrspolitische Fragen lange Zeit unbeachtet, führte allerdings zu einer erheblichen Zunahme grenzüberschreitender Verkehrsverflechtungen. Die internationale Zusammenarbeit der Eisenbahnunternehmen und die Weiterentwicklung der institutionellen Grundlagen setzte sich fort; die Bahn konnte jedoch nicht am Wachstum der Verkehrsnachfrage partizipieren.
Erst in den 1980er Jahren kam es zu ersten Projekten für eine Wiederbelebung des europäischen Bahnverkehrs. Die Öffnung der Schienenverkehrsmärkte schreitet voran und verleiht der Koordination der Akteure neue Bedeutung. Die Projektarbeit soll einen Beitrag leisten, aus der Analyse vergangener Integrationsaufgaben Anregung für die Zukunft zu ziehen.