Berichte - Ehemaliges Vernichtungslager Belzec
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Ehemaliges Vernichtungslager Belzec (18.10.2001)
Im Osten Polens gibt es - im Windschatten von Auschwitz - so manche Stätte des Grauens zu entdecken. Belzec ist eine von ihnen. In der Nähe des kleinen und unscheinbaren Ortes Belzec wurde im Spätherbst 1941 mit dem Bau eines Lagers begonnen, welches seinen zynischen Beitrag zur auf der Wannsee-Konferenz beschlossenen "Endlösung" der "Judenfrage" leisten sollte.
Unser Bus erreicht das Lager über eine Art besseren Feldweg
und bleibt schließlich auf einem sandigen Terrain stehen - dem
Parkplatz. Wir betreten das Gelände der Gedenkstätte durch ein
schmiedeeisernes Tor, welches künstlerisch Stacheldraht
imitiert und eine Inschrift trägt; sonst aber gibt es nicht
allzu viel zu sehen:
Nach der Auflösung des Lagers wurde es von den Deutschen
komplett zerstört und unkenntlich gemacht - sogar Bäume
pflanzte die Lagermannschaft auf dem Gelände, um zu vertuschen,
was sich hier zugetragen hat.
Was aber hat sich hier zugetragen, vor noch nicht ganz 50
Jahren?
Nachdem das Lager im Herbst 1941 in Betrieb genommen wurde,
folgte einer Phase des Experimentierens seitens der
Lagerleitung, welche in einer schrecklichen und effektiven
Anordung endete, deren Ziel es war, möglichst viele Menschen
reibungslos zu ermorden.
Zunächst wurde dazu eine Holzbaracke errichtet, in der mithilfe
von Zyklon B Vergasungen durchgeführt wurden. Aufgrund der
Erfahrungen, die man dabei sammelte, ging man zur Vergasung
mittels Kohlenmonoxid über; es wurden nun schlicht die Abgase
eines Dieselmotors in die Räumlichkeiten eingeleitet. Die
Baracke wurde abgerissen und durch einen massiven Steinbau
ersetzt, in dem sechs Kammern nunmehr bis zu 1500 Menschen in
einem Durchgang fassen und der Ermordung zuführen konnten.
Über die nahe Bahnlinie konnten die für die Ermordung
bestimmten Menschen leicht nach Belzec gebracht werden. Dort
war nur eine kleine Anzahl von Deutschen als Wärter eingesetzt,
die mehrheitlich schon bei der Tötung von psychisch Kranken in
Deutschland "Erfahrungen" gesammelt hatten und der Dienststelle
T4 in Berlin unterstanden.
Ihre Aufgabe und die der ukrainischen Hilfstruppen bestand in
erster Linie darin, die mehreren hundert "Arbeitsjuden" zu
beaufsichtigen, welche die Ermordungen durchzuführen hatten.
Einen Eindruck von der Prozedur, welche sich in den Jahren 1942
und 1943 vielhundertfach in Belzec abspielte, vermittelt ein
Ausschnitt aus der Urteilsbegründung des Belzec-Prozesses:
"Die auf dem Wege des Eisenbahntransportes
eingetroffenen Juden, häufig in überladenen Güterwagen
zusammengepresst, wurden durch jüdische Arbeitskommandos
innerhalb des Lagers (Bereich I) entladen. Dabei wurde streng
darauf geachtet, dass kein Angehöriger des Zugbegleitpersonals
das Lager betrat. Anschließend hielt der Lagerkommandant oder
einer der SS-Unterführer eine kurze Ansprache, in der den
Neuangekommenen erklärt wurde, sie kämen nun zum
Arbeitseinsatz, müssten vorher aber noch entlaust, gebadet und
körperlich untersucht werden.
Dann mussten sich alle in den hierfür vorgesehenen Baracken,
nach Geschlechtern getrennt, völlig entkleiden und ihre
Wertsachen an einem besonders hierfür eingerichteten Schalter
abgeben. Die Frauen wurden angewiesen, sich in entkleidetem
Zustand in eine Baracke zu begeben, in der ihnen von
Angehörigen des jüdischen Arbeitskommandos die Haare
abgeschnitten wurden. Diese wurden der Rüstungsindustrie als
kriegswichtiges Material zugeführt.
Schließlich trieb man aus Gründen der Sicherheit zuerst die
Männer und dann die Frauen und Kinder durch den sogenannten
"Schlauch" zum Vergasungsgebäude. Dort führte man sie in die
einzelnen Kammern, wobei man jeweils 200-300 Menschen in einer
Kammer (vor Fertigstellung des Massivbaues jeweils 100-200
Menschen in der einzigen Kammer der behelfsmäßigen
Vergasungsbaracke) zusammenpferchte. Dann wurden die Türen der
Gaskammern verschlossen und das Licht ausgeschaltet.
Spätestens in diesem Zeitpunkt ahnten die Opfer das
ihnen zugedachte Schicksal. Endlich wurde der Dieselmotor
angeworfen, dessen Abgase den jämmerlichen Erstickungstod der
eingeschlossenen Menschen herbeiführte, der je nach der
körperlichen Widerstandsfähigkeit nach einer qualvollen
Zeitspanne von 15-30 Minuten eintrat.
Anschließend öffnete man die äußeren Türen der Kammern, in
denen die bedauernswerten, zumeist mit Speichel, Kot und Urin
beschmutzten Opfer infolge der Enge zum Teil noch in
verkrampften Stellungen standen oder übereinander lagen. Die
hierzu eingeteilten jüdischen Arbeiter schlangen Lederriemen um
die Handgelenke der Toten und schleiften sie zu den etwa
100-150 m entfernten, vorbereiteten Gruben. Auf dem Wege
dorthin wurden ihnen durch jüdische Zahnärzte, die zu einem
besonderen Kommando gehörten, die Goldzähne herausgebrochen.
Außerdem untersuchte man die Körperöffnungen der Getöteten zum
Zwecke der Sicherstellung verborgener Wertgegenstände.
In dem Vernichtungslager Belzec fanden in der Zeit vom März bis Mai 1942 mindestens 90.000 und in der Zeit von Juli bis November 1942 (nach Errichtung des massiven Vergasungsgebäudes) mindestens 300.000 Menschen den Tod."
Heute wird die Anzahl der Ermordeten auf ungefähr 600.000
geschätzt. Sie sind ungezählt, namenlos. Es gibt keine Kartei
von Lagerinsassen oder Gefangenen. Es gab keine Rampe mit
Selektionen, keine "Vernichtung durch Arbeit". Es gab einzig
und allein die umstandslose und industriell betriebene
Vernichtung von Menschenleben.
Wahrscheinlich hat Belzec den Namen "Todesfabrik" auf
zweifelhafte Weise noch mehr verdient als Auschwitz...
Heute, etwa zwei Generationen später, gehen wir über die
Gedenkstätte. Sie hat schon bessere Zeiten gesehen, die Wege
beginnen zuzuwachsen, die erst in den 80'er Jahren errichteten
Denkmalbauten zu verwittern; aber gerade diese Atmosphäre des
Verfalls scheint angemessen für das, was man durch Denkmäler
und Bepflanzungen sowieso nicht deutlich machen kann.
Viele von uns gehen alleine über das so erschreckend kleine
Areal eines der größten Friedhöfe der Menschheit; der Boden
knirscht mit jedem Schritt, und das wird auch nach vielen
Jahren noch in der Erinnerung bestehen: Der Boden, bedeckt von
feinen Beton- und Ziegelresten; der eine Ahnung gibt davon, was
sich auf ihm zugetragen hat; der eine Ahnung davon gibt, was in
ihm liegt.
Ole Göbbels