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Berichte - Krakau Kazimierz

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Krakau-Kazimierz (16.10.2001)

Die heutige Stadtführung führte uns nach Krakau-Kazimierz, einer ehemaligen Vorstadt Krakaus, in dem bis 1945 auch der Großteil der Krakauer Juden lebte. Unser Stadtführer, ein sympathischer Pole mit hervorragendem Deutsch und phänomenalen Kenntnissen der älteren und jüngeren Geschichte Krakaus und Kazimierz', begann die Führung an der Josef-Dietl-Strasse, die den nordwestlichen Teil des Stadtviertels gegen Krakaus Altstadt abgrenzt. Der Süden von Kazimierz wird durch die Weichsel begrenzt. Die Strasse wurde nach Josef Dietl benannt, der in der zweiten Hälfte des 19. Jh. Rektor der Uni Krakau war. Er stand vor allem für die Autonomie der polnischen Sprache und war eine wichtige Persönlichkeit Krakaus. Unser Stadtführer sprach über die Stadtgründung Krakaus, die durch Boleslaw den Frommen durchgeführt wurde. Er war ein Herzog und polnischer König, der im 13. Jh. deutsche Stadtgründer einlud, um die Gründung Krakaus durchzuführen, und der den Juden Privilegien gewährte, die bis zum 18. Jh. polnischen Königen als Vorbild dienten. Der Wawelhügel war allerdings bereits im 7. Jh. durch Slawen besiedelt worden.

Wir gingen anschließend von der Strasse weg nach Kazimierz hinein, auf das Rathaus zu. Der Marktplatz, der sich dort befindet war früher so groß wie der in der Krakauer Innenstadt, er ist mittlerweile allerdings viel kleiner. Heute gibt es in der Innenstadt von Krakau und in Kazimierz als 600 Kneipen, die größtenteils in den letzten zehn Jahren eröffnet wurden. Vor der "Wende" allerdings sei Kazimierz gefährlich und verrufen gewesen. Touristen hätten sich kaum hierher getraut. Viele der Anwohner seien in der Vergangenheit den Touristen gegenüber sehr argwöhnisch entgegengetreten. Dies sei darin begründet, dass die Anwohner die irrationale Angst davor hätten, dass jüdische Touristen ihre ehemaligen Wohnungen und Häuser zurückfordern könnten. Diese Angst sei auch heute noch zum Teil unter den polnischen Bewohnern der Häuser verbreitet. Der polnische Antisemitismus sei auch heute noch ziemlich stark verbreitet, allerdings handele es sich um die polnische Sonderform "Antisemitismus ohne Juden". An unserem Stadtführer beeindruckte mich diese abgeklärte Rationalität, mit der er auf den Antisemitismus in der polnischen Bevölkerung zu sprechen kam. Er verharmloste und verklärte diesen Teil der neuesten Geschichte nicht.

Unser Stadtführer ging auf die Geschichte der Juden Krakaus ein. Er rief uns in Erinnerung, dass vor dem Zweiten Weltkrieg 60.000 Juden in Krakau lebten. In ganz Polen waren es ca. vier Millionen Juden. Die Städte waren multiethnisch und der Anteil der Juden betrug häufig mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung. Die Juden Krakaus mussten vom 17.-19. Jh. in einem Ghetto leben, dass sich östlich vom Rathaus von Kazimierz befand. Ab dem 19. Jh. besiedelten die Juden auch den Teil von Kazimierz, in dem das Rathaus stand. Das Ghetto zur Zeit des Ersten Weltkriegs hatte bloß 20 Prozent der Stadtfläche eingenommen, es hätten aber 80 Prozent der Bevölkerung Kazimierz' dort wohnen müssen. Das spätere Ghetto des Zweiten Weltkrieges sei noch viel kleiner gewesen. Es befand sich südlich von Kazimierz, auf der anderen Seite der Weichsel. Südlich von diesem Ghetto befand sich das KZ Plaszów. Im März 1943 wurde die Ghettoliquidierung durchgeführt. Heute leben unter den 800.000 Einwohnern Krakaus bloß noch 200 Juden. Dennoch ist das jüdische Leben in Krakau sehr intensiv, jüdische Festivals werden gefeiert, und das Publikum bei diesen Festen ist international.

Vom Rathaus aus gingen wir zur Fronleichnamskirche, mit deren Bau um 1335 begonnen wurde. Die Bauarbeiten dauerten bis zum Anfang des 15 Jh.. Sie ist eine monumentale dreischiffige Basilika, die aus Ziegeln gebaut wurde. Sie ist charakteristisch für gotische Kirchen in Polen. Der Platz vor der Fronleichnamskirche liegt ca. zwei Meter unter dem Niveau der Strasse. Vom Markt an fällt das Bodenniveau beständig ab und heutige Keller am Markt waren mittelalterliche Erdgeschosse. Unser Stadtführer ging häufiger auf die moderne Geschichte des Viertels ein und besuchte mit uns auch einige der Orte, an denen Steven Spielberg seinen Film "Schindlers Liste" gedreht hatte. Er erwähnte auch häufiger moderne polnische Schriftsteller, die sich dem Leben der Juden und der Stadt Krakau auf poetische Art und Weise nähern. Unter diesen ist z.B. Adam Zagajewski ("Ich schwebe über Krakau") zu nennen.

Von der Kirche aus gingen wir nach links in das jüdische Kulturzentrum Centrum Kultury Zydowskiej (Fundacia Judiaca), wo uns unser Stadtführer anhand einer Luftaufnahme die Geographie des Stadtviertels erläuterte. Er zeigte uns die Lage der Ghettos, der wichtigsten Strassen, Gebäude (Rathaus, Kirchen, Synagogen etc.), Brücken usw. Nach dem Besuch dort (der Kaffee soll phantastisch gewesen sein) ging's weiter in Richtung des jüdischen Friedhofes, der sich im östlichen Teil von Kazimierz befindet. Auf dem Weg dorthin kamen wir zu einer kleinen Strasse, in der Steven Spielberg die Ghettoliquidierung nachstellte. In dieser Szene spielten auch Kollegen unseres Stadtführers als Statisten mit. Der Film wird von vielen Polen als eine Beleidigung wahrgenommen, denn in dem gesamten Film spielen nur zwei Polen eine Rolle; es sind Kinder, die die vorbeiziehenden Juden beleidigen und bedrohen. Vom polnischen Beistand gegenüber den Juden wird jedoch nichts erwähnt. Dieser sei jedoch groß gewesen: um einen Juden zu retten hätten durchschnittlich 20 Polen aktiviert werden müssen. Es hätte ca. 100.000 "Judenhelfer" gegeben, die überwiegende Mehrheit der Polen sei gegenüber dem Schicksal der Juden allerdings gleichgültig gewesen. Unser Stadtführer machte uns in dieser Strasse auf ein stark zerfallenes Haus aufmerksam, das in Kürze restauriert werden solle. Er sagt, dass noch vor sieben Jahren viele Häuser im Viertel so ausgesehen hätten.

Gegenüber der Strasse kamen wir zu einer ersten Synagoge. Sie wurde von christlichen Baumeistern errichtet, da die Juden den mittelalterlichen christlichen Bauzünften nicht angehören durften. In der nachfolgenden Zeit wurden in dem Viertel mehr als zehn weitere Synagogen auf kleinem Gebiet errichtet. Dies hätte vor allem daran gelegen, dass die jüdische Religion sehr pluralistisch ausgerichtet war und ist, und somit jede eigenständige jüdische Gemeinde eine eigene Synagoge haben durfte. In dieser Synagoge wurden uns mehrere Dokumentarfilme über das jüdische Leben vor dem Zweiten Weltkrieg in Kazimierz gezeigt, wobei der erste 1936 von einem amerikanischen Regisseur gedreht wurde und das jüdische Leben in den Strassen von Kazimierz zeigt, und der zweite Dokumentarfilm wurde von einem deutschen Soldat gefilmt, um den Umzug der Juden von Kazimierz ins Ghetto zu dokumentieren. Die männlichen Exkursionsteilnehmer mussten vor dem Betreten des Gebetsraumes eine Kopfbedeckung aufsetzen. Das Gefühl, das mich dabei beschlich, ist schwer zu beschreiben. Es fühlte sich ungewöhnlich, feierlich und nachdenklich an. Für mich war dies der erste Besuch einer Synagoge. Ich fühlte mich dort dem Schicksal der Juden von Kazimierz, Krakau und Polen fast noch näher als ich es in Auschwitz und Birkenau empfand.

Hinter der Synagoge befindet sich der Rabbiner Moses Friedhof, der vom 16.-19. Jh. als Grabstätte benutzt wurde. Die Mauer, die sich an der westlichen Seite des Friedhofes befindet, war zugleich die Ghettomauer des ersten Ghettos, dass sich weiter nach Osten erstreckte. Wir gingen weiter in die Szeroka Strasse, die, so sagte unser Stadtführer, ein "heiliger Ort" sei. Das jüdische Leben spielte hier schon früh eine bedeutende Rolle, denn bereits im 15. Jh. fand in Krakau die erste Judenvertreibung durch Katholiken statt, bei der die Juden aus der Gegend um das Collegium Maius in diese Strasse vertrieben wurden und dort ihre Synagogen (es sind alleine in dieser Strasse drei Synagogen) errichteten. Es gab ebenfalls eine Mikwa (eine rituelle Badeanstalt) dort. Heute wird das Gebäude, das Klezmer-Haus, als Restaurant benutzt. Diese Entwicklung lässt sich an vielen Stellen in Kazimierz nachweisen: es gibt zwar kein jüdisches Leben mehr in diesem Stadtteil, aber seit etwa zehn Jahren wird er von der Gastronomie, von jungen Leuten und auch vom Tourismus wiederentdeckt. Unter anderem wurde das Hotel Eden in der Nähe des Friedhofes für jüdische Touristen von Grund auf restauriert.

Als letzte Station unserer Führung betraten wir den jüdischen Friedhof. Dort stehen über 700 jüdische Grabsteine, wo vor dem Zweiten Weltkrieg nur ca. 80 standen. Dies ist so zu erklären, dass sich die Gräber auf ‚verschiedenen Ebenen' befanden und die Grabsteine von Archäologen aufgestellt wurden. Die Nazis hingegen hatten sämtliche Grabsteine, die sie antrafen, zerschlagen. Aus den Bruchstücken ist eine Mauer errichtet worden, die an diese Schandtat erinnern soll.

Marc Schneider, Stefan Kratzel

 
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