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Berichte - Nowa Huta

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Nowa Huta (17.10.2001)

Am frühen Morgen des 17. Oktober haben wir auf dem Weg nach Zamosc einen Abstecher zum Krakauer Stadtteil Nowa Huta gemacht, der ungefähr zehn Kilometer von der Altstadt entfernt liegt, der Name bedeutet "Neue Hütte".

Die Vorbereitungen für den Bau Nowa Hutas fallen in die zweite Hälfte der 40er Jahre. Hintergrund war die oppositionelle Haltung des bürgerlichen Krakau gegenüber der neuen kommunistischen Regierung. Diese ablehnende Haltung wurde besonders beim Referendum von 1946 deutlich, als die Unterstützung des polnischen Volkes für die neue Regierung ermittelt werden sollte. Die Abstimmung begleiteten Terrormaßnahmen des NKWD. Die Ergebnisse wurden gefälscht. In der Hauptfrage nach der Abschaffung des Senats waren beispielsweise nach offiziellen Ergebnissen 73% der Befragten dafür. Der Senat kontrollierte ursprünglich die Sejm (Abgeordnetenhaus). Verstecktes Ziel des Referendums war somit die Zentralisierung des Staatswesens im Sinne des Demokratischen Zentralismus. Krakau galt als ein intellektuelles Zentrum des Widerstands gegen den Kommunismus. Dem sollte Nowa Huta als Beispiel einer sozialistischen Arbeiterstadt entgegengesetzt werden. So beschloss man im Winter 1947 den Bau einer neuen sozialistischen Stadt nach sowjetischem Muster, ähnlich wie man es in den 50er Jahren mit dem Bau von Eisenhüttenstadt in der DDR intendierte. Die Bauarbeiten für die neue Stadt begannen 1949 und dauerten bis Ende der 70er Jahre fort. Die unterschiedlichen Baustile der einzelnen Jahrzehnte lassen sich deutlich ausmachen. Das Zentrum bildet ein großer Platz (ursprünglich Leninplatz), von dem strahlenförmig breite Alleen, die von Wohnbauten gesäumt sind, in sozialistischem Stil abzweigen. Das Lenin-Denkmal, dass sich ursprünglich auf diesem Platz befand widerstand dem Versuch, in der Wendezeit gesprengt zu werden. Die massiv bronzenen Statue ging seinerzeit lediglich eines Fußes verlustig, bevor sie nach dem Systemwechsel vollständig abgebaut wurde.

Jeder der einzelnen Stadtteile Nowa Hutas wurde so geplant, dass sich in ihm jeweils auch ein Theater, ein Krankenhaus und Kultureinrichtungen befanden. Jeder Wohnblock verfügte darüber hinaus über eine Schule, einen Kindergarten und eine Bibliothek. Die Wohnqualität war sehr hoch, denn die Blöcke wurden von Facharbeitern massiv aus Backstein gebaut. Um Nowa Huta zu besiedeln, lockte man hauptsächlich Arbeiter und Landbevölkerung hierher, indem man ihnen Arbeitsplätze und kostenlose Wohnungen versprach. Die Stadt stellte somit ein außergewöhnliches soziales Experiment dar. Seitens der Kommunisten versuchte man ein Beispiel lebendigen Sozialismus vor die Tore der weithin bürgerlichen Stadt Krakau zu setzen. Nowa Huta wurde als Wohnsiedlung für ein zeitgleich errichtetes Stahlwerk mit sowjetischer Technologie angelegt, was jedoch eine ökonomische Fehlplanung war: Es gibt in der näheren Umgebung kein Eisenerz, weshalb das Stahlwerk nicht wirklich rentabel arbeiten konnte. Das Erz wurde über eine eigens gebaute Bahnlinie aus der Sowjetunion angeliefert, die Erzeugnisse wurden auf selbem Weg zurücktransportiert. Bis heute gibt es keine Aufbereitungsanlagen. Wichtigster Auslandsinvestor ist heute der Krupp-Konzern, der dort hauptsächlich Bleche für die Autoindustrie herstellen lässt. Noch 1975 hatte das Stahlwerk 35.000 Beschäftigte, heute sind es nur noch 17.000, es herrscht sehr hohe Arbeitslosigkeit.

In den 1970er und 80er Jahren war Nowa Huta antikommunistisch geprägt, insbesondere während des Kriegszustandes. Die Einwohner, die seit Fertigstellung der Stadt dort angesiedelt wurden, hielten an den traditionell ländlichen und katholischen Wertvorstellungen ihrer Heimat fest. Nowa Huta, der atheistischen Doktrin folgend ohne Kirche als geistliches Zentrum geplant, erhielt aufgrund des öffentlichen Drucks schließlich doch eine Kirche, die von 1967 bis 1977 errichtet wurde. Jan Ptrzyk, ein aus Krakau stammender Architekt, gestaltete nach dem Vorbild der Arche Noah den Kirchenkorpus, der sich im Innenraum in drei Ebenen (Beichtkapelle, Hauptschiff, Empore) aufteilt. Im durchlichteten Hauptschiff haben 5.000 Menschen Platz. Bemerkenswerte Details der Innenausstattung sind der Marmoraltar in Form einer geöffneten Hand, ein eineinhalb Tonnen schwerer, segelförmig geblähter Christus in Bewegung aus massiver Bronze, und ein Kreuzgang, der die biblischen Personen als Arbeiter in zeitgenössischer Kleidung zeigt. Die Schiffsform ist auch von außen erkennbar: Ein 71 Meter hohes Kreuz aus Rüstungsstahl, das an einen Segelmast gemahnt, überragt das von Holzschindeln gedeckte Dach. Die Außenwände sind gepflastert mit zwei Millionen Bachkieseln, die aus den umliegenden Gemeinden stammen.

Die großzügige Gestaltung der Kirche war ein Sinnbild für die Freiheit. Diese Freiheit ermöglichte es den Gläubigen während des Kriegszustandes in den 80er Jahren sich trotz Versammlungsverbotes zusammenzufinden. Am 13. eines jeden Monats fanden "Messen für das Vaterland" statt, die Zehntausende von Menschen anzogen. In den sozialistischen Staaten bedeuteten die Kirchen den einzigen geschützten Raum zur freien Meinungsäußerung. Im widersprüchlichen Verhalten des Staatsapparates durch die Verhandlungen zwischen der Solidarnosc mit der Führung, zwischen Teilzugeständnissen und den Repressionen des Kriegsrechtes, konnten nur die Kirche und Solidarnosc als Machtinstitutionen dem System gegenübertreten. Im Zuge einer Wandlung in der Gesellschaft und der katholischen Kirche in der Nachwendezeit verlor der Gottesdienstbesuch für die Menschen einen Großteil seiner politischen Bedeutung.

Nowa Huta ist in jeder Hinsicht ein beeindruckendes Beispiel "sozialistischer Städteplanung", da sowohl die Wohnbauten als auch öffentliche Gebäude in ihrem Repräsentationsgehalt und ihrer Modernität richtungweisend waren. Die "Reißbrettplanung" berücksichtigte jedoch nicht, dass der einzelne Mensch die Stadt mit anderem Leben füllte als dies das Bild der sozialistischen Persönlichkeit vorsah.

Stephen Müller, Sebastian Stroh, Martin Spies

 
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