28. Juni 2017       Patrick Eiden-Offe (Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin)      Das Proletariat: soziale und literarische Figuration im VormärzIm  Vormärz findet sich aus verarmten Handwerkern, städtischem Pöbel,   vagierenden ländlichen Unterschichten, bankrotten Adligen und nicht   zuletzt freigesetzten prekären Intellektuellen jene soziale   Kollektivfigur zusammen, die in der Sprache der Zeit „das Proletariat“   genannt werden wird. Im Prozess der Figuration spielt Literatur eine   doppelte Rolle: Zum einen bilden literarische Texte (und Texte von   Literaten, die hier auch in anderer Funktion auftauchen können, etwa als   Übersetzer oder Berater) – sociale Gedichte, Reportagen, Novellen,   Pamphlete – einen wesentlichen Teil des Materials, aus dem die   Sozialfigur des Proletariats sich bildet. Zum anderen folgt jener   Bildungsprozess Verfahrensregeln, die selbst als literarische zu   beschreiben sind: Das heterogene Material wird zusammengefasst und   akzentuiert, ihm wird Kohärenz, Fasslichkeit und Nachvollziehbarkeit   verliehen. Zugleich aber offenbart die Figur in ihrer Brüchigkeit auch   einen prekären Charakter, der Rückschlüsse auf die sozialen Prozesse   erlaubt, denen sich die Figuration verdankt.   
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              30. November 2016       Sabine Biebl (Universität Konstanz)      ‚Dilettantismus‘ als Methode: Kulturgeschichte und Literatur im 19. JahrhundertEs  war gerade ihre Nähe zu literarischen Darstellungsformen, nicht   zuletzt ihr Hang zur Modegattung der Novelle, die der deutschsprachigen   Kulturgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert den Argwohn der   universitären Fachgeschichte zuzog. Im leichtgängigen Erzählton, der   poetisch-anschaulichen Beschreibung und konkretisierenden Fiktion, derer   sich viele kulturhistorische Autoren bedienten, schien der Vorwurf des   Dilettantismus, der mangelnden theoretischen und methodischen  Reflexion  seinen offenkundigen Beweis zu finden. Blieb der  Kulturgeschichte in  Deutschland damals somit die Aufnahme in die  Geschichtswissenschaft  weitgehend verwehrt, so erfreute sich ihre  populäre Darstellung u.a. in  den Werken Johannes Scherrs, Wilhelm  Heinrich Riehls oder Gustav  Freytags einer enormen Nachfrage ihrer  bürgerlichen Leserschaft. – Der  Vortrag fragt nach dem strukturellen  Zusammenhang zwischen Literatur und  Kulturgeschichte im Kontext der  sozialen, politischen und kulturellen  Umbrüche um 1850. Unterstellt  wird ein ‚Dilettantismus‘ als Methode, in  dem sich eine noch zu  schreibende Geschichte der ‚kleinen Akteure‘ mit  dem Möglichkeitsraum  der Literatur zwingend verbindet.  | 
                
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                  29. Juni 2016
                 
                Heide Volkening (Universität Greifswald)
                Poetik und Politik: Funktionen des Charakters im Drama des 18. Jahrhunderts
                Poetologische Debatten über die Form des Dramas und die Kategorie des Tragischen setzen im ausgehenden 18. Jahrhundert immer wieder bei der Darstellung des Charakters an. Lessings Mitleidskonzeption der Tragödie setzt auf den kohärenten Durchschnittscharakter, Schillers Pathetisches auf den heldenhaften, stoischen Charakter. Diese formalen Reflexionen sind gekoppelt an divergierende politische Entwürfe des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft – das Band der Empathie auf der einen, außer Kontrolle geratene Leidenschaften auf der anderen Seite. Form des Dramas und Konzepte des Politischen, so wird der Vortrag in Auseinandersetzung mit Lessing, Schiller und kontextualisierenden Diskursen zeigen, treffen sich in der Fokussierung auf den Charakter als gleichermaßen politische wie ästhetische Kategorie.   
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                  20. Januar 2016
                 
                Anne Baillot (Humboldt-Universität zu Berlin)
                „Intellektuelle“ um 1800? Zur Operationalisierung einer     kontroversen Kategorie
                Mit der Zuschreibung „intellektuell“ wird eine Kategorie verwendet, die das Feld der Literaturwissenschaft zwangsläufig öffnet: „Intellektuelle“ können genauso gut Schriftsteller à la Voltaire, Sartre oder Zola sein wie Wissenschaftler à la Freud oder Einstein. Die öffentliche Stellungnahme erfolgt jeweils auf Grundlage des eingeworbenen geistigen Reputationskapitals. Für die Zeit um 1800 haben ohnehin disziplinäre Schubladen, die Schriftsteller von Wissenschaftlern trennen, nur einen geringen Operationalisierungswert: Chamisso ist Naturwissenschaftler, Weltreisender, Lyriker, Novellenschreiber; Tieck und A.W. Schlegel sind genauso praktisch wie theoretisch und historisch in der Literatur unterwegs. In der preußischen Hauptstadt sind im Kontext der napoleonischen Kriege geistige Tätigkeiten jeder Art – im literarischen wie im wissenschaftlichen Feld – mit politischen Überzeugungen eng verzahnt. 
                In der von der DFG zwischen 2010 und 2015 im Rahmen des Emmy Noether-Programms geförderten Nachwuchsgruppe „Berliner Intellektuelle 1800–1830“ ging es darum, den Erkenntniswert einer Begrifflichkeit auszuloten, die die Grenzgänge bewußt fokussiert. Nun: Was haben uns solche ideengeschichtlichen Ansätze über Texte zu sagen? Der Vortrag wird in diesem Sinne die fünf Jahre Projektarbeit des sechsköpfigen Teams bilanzieren.    
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                  2. Juli 2015
                 
                Anna Kinder (Deutsches Literaturarchiv Marbach)
                Big Archives: Zur Materialität von Großbeständen
                Wie  erforscht man 20.000 Aktenordner, wie findet man in 400 GB   Datenmaterial, wonach man sucht? Archiv-Großbestände zeichnen sich nicht   nur durch ihren Materialreichtum und ihre Materialheterogenität aus,   sondern laden geradezu dazu ein, in den Modus der vorkritischen   Materialbeschreibung zu verfallen. Die Unübersichtlichkeit von   Großbeständen erfordert daher heuristische Strategien, die eine   historisch-semantische Struktur freilegen, die auf der Oberfläche des   Archivs nicht ohne Weiteres sichtbar ist. Ausgehend von der auch   gegenwärtig zu beobachtenden Diskussion zwischen hermeneutisch   interessierten, auf den literarischen Text fokussierenden Ansätzen auf   der einen und materialitätsaffinen, an den Material Studies orientierten   Herangehensweisen auf der anderen, wird die Frage nach dem   Erkenntnisgegenstand literaturwissenschaftlich relevanter Großbestände   gestellt.  
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