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Berichte - Gernika

El Caminho de Santiago -
Nordspanien in Geschichte und Gegenwart

Einleitung Berichte Bilder Downloads

Gernika (Samstag, 19.10.2002)

Guernica - baskisch Gernika - ist ein beschauliches Städtchen, landeinwärts an der Mündung des Rio Oca gelegen. Sein Name dürfte jedem historisch interessierten Deutschen ein Begriff sein, verbindet sich mit ihm doch der Luftangriff der deutschen Fliegerstaffel "Legion Condor" vom 26. April 1937 zur Unterstützung der francistischen Truppen im spanischen Bürgerkrieg. Es handelt sich um den ersten "systematischen" Luftangriff auf ein ziviles Ziel. Etwa 1600 Tote waren zu beklagen, der neuen "Logik" des Luftkrieges folgend vor allem Zivilisten, unterschiedslos Männer, Frauen und Kinder - ein Menetekel für die Kriegsführung des 20. Jahrhunderts, eindrucksvoll eingefangen durch Picassos Monumentalgemälde "Guernica".

Der Angriff traf den Ort nicht zufällig - Gernika ist ein Symbol baskischer Kultur, baskischer Selbständigkeit und baskischen Stolzes. Seit dem 10. Jahrhundert war Gernika Sitz des baskischen Ältestenrates, vor dem selbst die Könige von Navarra und Kastilien auftreten und die Rechte und Freiheiten der Basken bestätigen mussten, um im Baskenland als Könige gelten zu können. Der Stumpf der Eiche, unter der dem Mythos nach der baskische Rat tagte, ist noch heute zu sehen.

An diesem Ort wurde ein Exempel statuiert, welches den republikanisch-baskischen Widerstand gegen die Truppen Francos in der Provinz Biskaya erschüttern sollte - mit Erfolg: Bald nach dem Angriff auf Gernika brach der dortige militärische Widerstand zusammen.

Unser Besuch in Gernika gilt vor allem dem dortigen Zentrum für Friedensforschung, "Gernika Gogoratuz", "Gernika gedenken". Iñigo Arbiol, ein Mitarbeiter im Bereich Geschichtsforschung, gibt uns eine Einführung und steht Rede und Antwort zu drei Themen:

  1. Die Arbeit des Zentrums
  2. Die aktuelle Situation im Baskenland
  3. Der Luftangriff deutscher Verbände von 1937 und seine Folgen

Die Arbeit des Friedensforschungszentrums "Gernika Gogoratuz"

Die Arbeit des Zentrums gliedert sich in zwei Schwerpunkte:
Zum einen wird der Versuch unternommen, die traumatische kriegerische Vergangenheit Gernikas aufzuarbeiten - den Luftangriff von 1937. Zu diesem Zweck werden Zeitzeugen befragt, unmittelbar wie auch mittelbar betroffene Menschen in einen Erinnerungsprozess eingebunden sowie Ergebnisse und Hintergründe dokumentiert.

Zum anderen möchten die Mitarbeiter des Zentrums gegenwärtige und zukünftige Konflikte lösen und vermeiden helfen. Ganz konkret ist dabei der virulente Konflikt um die Selbständigkeit des Baskenlandes im Blick. Hier bietet das Zentrum "Secret Mediation" zwischen den unterschiedlichen Parteien des Konfliktes an: Staatsregierung, Regionalregierung, Polizei, ETA, Bevölkerung; "…obviously, not very successful", wie Iñigo Arbiol mit einem resignierten Lachen hinzufügt.

In diesen Bereich fällt aber auch das "Community Development", die Basisarbeit, welche darin besteht, in Öffentlichkeit, Presse und Schulen für gewaltlose Lösungen zu werben und Konfliktlösungsstrategien anzubieten. Weitere Arbeitsbereiche umfassen das Engagement für Minderheiten (in Nordspanien vor allem ‚Zigeuner' und Afrikaner) und den Kontakt zu Opfern politischer Gewalt in Lateinamerika, hier vor allem Guatemala. Auch auf dem Balkan werden friedliche Prozesse unterstützt.

Die aktuelle Situation im Baskenland

Den Ausführungen Iñigo Arbiols zufolge ist die Situation im Baskenland momentan durch besondere Spannungen gekennzeichnet. Zu dem lang anhaltenden Konflikt der ETA mit dem Zentralstaat, seinen Organen und gemäßigteren Bevölkerungsgruppen komme nun das Verbot der Partei Herri Batasuna hinzu. Bei dieser Partei handele es sich um den "politischen Arm" der ETA, eine Partei also, der wohl nicht zu Unrecht eine Verbindung zum Terrorismus nachgesagt werden könne. Zu befürchten sei, dass sich mit dem Verbot der Herri Batasuna die Fronten erneut verhärten würden sowie die Sympathisantenszene in den Untergrund gedrängt werde. Zudem sei das Recht, Parteien zu gründen, eine essentielle Errungenschaft der noch jungen spanischen Demokratie und das Verbot einer solchen ein sehr weitreichender Schritt; in jedem Falle aber werde die Verständigung nicht leichter, wenn man keinen Gesprächspartner mehr habe. Zwar stellten Herri Batasuna nur ca. 10% der Abgeordneten des baskischen Regionalparlamentes, die Mehrheit der baskischen Bevölkerung distanziere sich auch vom Terror der ETA, das Verbot führe aber in weiten Teilen der Bevölkerung zu Verbitterung und Unverständnis. Während die ETA und Herri Batasuna den linken Teil des politischen Spektrums der baskisch-nationalistischen Bewegung abdeckten, sei der rechte Flügel durch die PNV (Baskische Nationalistische Partei) vertreten. Letztere bilde die Fraktion im Regionalparlament, welche die Regionalregierung stütze. Die Beziehung dieser beiden Flügel (und mehrerer kleiner Splitterfraktionen) zueinander sei nicht unproblematisch, im Hinblick auf nationalistische Ziele aber tendiere man des Öfteren in ähnliche Richtungen, wenn auch hier der linke Flügel radikalere Forderungen stelle. Beiden nationalistischen Richtungen gleich sei aber die Auffassung, mit den jetzigen Autonomieregelungen für das Baskenland sei erst ein Anfang gemacht auf dem Weg zu größerer Autonomie bzw. einem eigenen Staat. Für die Zentralregierung und die Mehrheit der Spanier jedoch sei der momentan erreichte Autonomiestatus das Ende der Fahnenstange. Dieser Konflikt werde sich mittelfristig nicht lösen lassen und die neueren Entwicklungen ließen sogar eine Verschärfung befürchten.

Daraufhin angesprochen, ging Iñigo Arbiol auch auf die wirtschaftlich hervorragende Situation des Baskenlandes ein: Der schon vom reinen Augenschein her wahrnehmbare wirtschaftliche Boom sei Ergebnis einer langfristigen Entwicklung und habe mehrere Ursachen. So sei vor allem Biskaya schon immer das industrielle Zugpferd Spaniens gewesen. Während dort lange die Schwerindustrie dominiert habe, sei in den 80er und 90er Jahren ein umfassender Umstrukturierungsprozess in Gang gesetzt worden, so dass neuere Technologien an Bedeutung gewännen. Umfassende Investitionen in die Infrastruktur täten ein Übriges, ein Wirtschaftswachstum zu generieren, das über dem EU-Durchschnitt liege. Strukturell beruhe diese positive Bilanz in erster Linie auf dem Export. Drei wichtige Gründe für diese Entwicklung seien: Zum einen die EU-Förderung; zum zweiten die in Spanien einmalige Möglichkeit des baskischen Parlaments, bestimmte Steuersätze selbst festzulegen und so ein wirtschaftsfreundliches Klima zu erzeugen; zum dritten die Direktinvestitionen von Banken, wobei mehrere der größten spanischen Banken ihren Sitz im Baskenland hätten und ihre Investitionen entsprechend zielgerichtet vornähmen.

Der Luftangriff von 1937

Die Bombardierung Gernikas war nicht nur Thema unserer Gespräche mit Iñigo Arbiol, sondern auch eines Films, den wir im Anschluss sehen konnten. Schließlich berichtete auch noch ein Augenzeuge und Überlebender des Bombardements.

Während schon der Film "La Huella Humana" das Fehlen von Aufnahmen des Angriffs und seiner unmittelbaren Folgen dadurch zu kompensieren suchte, dass Augenzeugen interviewt wurden, war der Bericht von Luis Iriondo, damals 14 Jahre alt, besonders eindrücklich. Aus den unterschiedlichen Zugängen ergab sich schließlich ein bedrückendes Bild:

Montag, 26. April 1937, war Markttag in Gernika - zusätzlich zu den ca. 5500 Einwohnern befanden sich dichtgedrängt die Marktbesucher in den Straßen und Gassen des Städtchens. Als um 16.30 Uhr die Glocken zu läuten begannen, wurde das zwar als Warnsignal verstanden - jedoch, selbst als die Motorengeräusche eine Fliegerstaffel ankündigten, war den Betroffenen nicht klar, was das bedeuten sollte. Die Front war nur noch 20 km entfernt, und über Luftangriffe beispielsweise auf Bilbao hatte man vom Hörensagen Kenntnis; dennoch traf der Angriff die Menschen so gut wie unvorbereitet. In aller Eile waren in jüngster Vergangenheit Schutzräume angelegt worden, zumeist unter Zuhilfenahme von Sandsäcken und Holzverstärkungen. Nichts jedoch hatte die Menschen auf einen Angriff vorbereitet wie den, der nun kommen sollte. Der Angriff erfolgte in Wellenbewegungen und dauerte insgesamt dreieinhalb Stunden. Wurden in der ersten Angriffswelle vor allem Sprengbomben eingesetzt, folgten dann Brandbomben. Schließlich wurden sogar MG von den Flugzeugen eingesetzt. Eindrucksvoll berichtete uns Luis Iriondo von der Todesangst, die er ausstand. Es war zu deutlich, dass es in dieser Situation für die Bevölkerung keinen Schutz gab. Die eher provisorischen Schutzräume hielten Treffern nicht stand, waren auch zu wenige und daher völlig überfüllt, ohne Sauerstoffzufuhr und ohne Licht - selbst Streichhölzer gingen aufgrund des Sauerstoffmangels in den Schutzräumen aus. Die Hilflosigkeit wird deutlich, wenn Augenzeugen berichten, wie Männer versuchten, mit ihrer Muskelkraft Türen zuzuhalten, die durch den Detonationsdruck der Bomben aus den Angeln gerissen wurden.

Der Angriff hinterließ ein Feld der Verwüstung - und das war intendiert. Der Kern Gernikas war total zerstört, neben ungefähr 1600 Toten blieben ungezählte Verletzte zurück. Die Tatsache, dass strategisch wichtige Ziele wie Industrie und die Flussbrücke gerade nicht getroffen wurden und die Taktik des Luftangriffes machen deutlich, dass es hier erstmals in der modernen Kriegsführung ganz bewusst darum ging, möglichst viele Zivilisten zu töten.

Für die überlebenden Einwohner Gernikas hatte das Leiden allerdings noch kein Ende: Neben dem Tod von Angehörigen, Freunden und Bekannten, neben den eigenen Verletzungen stand man buchstäblich auch vor den Trümmern seiner bisherigen Existenz. Luis Iriondo berichtete von der Angst der traumatisierten Menschen vor neuen Angriffen, auch vor der näher rückenden francistischen Armee. Ihnen blieb nur die Flucht in den zusammenbrechenden militärischen Kessel von Biskaya, um mit viel Glück in Santander schließlich im Kugelhagel eines der letzten auslaufenden Schiffe nach Frankreich besteigen zu können. Nicht von ungefähr erinnern die Ausführungen Luis Iriondos einen deutschen Zuhörer an Erzählungen von der Flucht Deutscher aus Ostpreußen 1944/1945.

Aufarbeitung

Die Aufarbeitung des Geschehens setzte dann erst spät ein: Im Spanien Francos galt die offizielle Version, republikanische Verbände hätten auf ihrem Rückzug die Taktik der verbrannten Erde angewandt und ein Massaker angerichtet. Erst nach dem Ende des Franco-Regimes war daran zu denken, öffentlich die wahren Täter zu benennen.

Ein besonderes Kapitel bildet hierbei die Versöhnung mit Deutschland. So bilanziert Eduardo Vallejo de Olejua, der damalige Oberbürgermeister von Gernika-Lumo, der die Beziehungen zu Deutschen und insbesondere zur deutschen Partnerstadt Pforzheim ausdrücklich als zufrieden stellend bezeichnet, im Jahre 1998:

"Von den Beziehungen zum Bundestag und zur Bundesregierung können wir nur sagen, dass wir uns ihrer voll Schmerz und Enttäuschung erinnern." (Kasper, S. 12)

Wie kommt es zu einem derart negativen Urteil? - Seit den späten 70er Jahren versuchten Bürger von Gernika, damals zusammengeschlossen in der "Cómision Gernika", eine Geste der Wiedergutmachung und Entschuldigung seitens der deutschen Regierung zu erlangen, stießen jedoch in der BRD auf wenig Interesse. Das Schicksal Gernikas war in der Wahrnehmung deutscher Politik einfach nicht präsent, blieb weit zurück hinter anderen deutschen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen - soweit eine Aufarbeitung derselben überhaupt gewünscht war.

In den 80er Jahren schließlich trafen die Wünsche aus Gernika auf eine ambivalente deutsche Erinnerungs- und Aufarbeitungskultur: Während durch die "Holocaust"-Serie, Teile der Geschichtswissenschaft und Publizistik (Ralph Giordano, Eberhardt Jäckel, Lea Rosh u.a.) einerseits eine neue Welle der Aufarbeitung angemahnt und eingeleitet wurde, versuchten andere Strömungen, gerade deren erfolgreiches Ende zu propagieren. In die Richtung der letzteren tendierte auch die Regierung Kohl, welcher stets von "Verbrechen in deutschem Namen" sprach, das Wort von der "Gnade der späten Geburt" prägte und Ronald Reagan zum Gedenkbesuch auf dem Soldatenfriedhof Bitburg (einschließlich Gräbern von Angehörigen der Waffen-SS) nötigte.

Die Forderungen der Cómision Gernika nach einer Geste der Wiedergutmachung (im Gespräch waren u.a. Bau und Finanzierung eines Krankenhauses als Ersatz für das 1937 zerbombte Krankenhaus, Schaffung eines baskischen Kulturinstituts, Stipendien für einen deutsch-baskischen Studentenaustausch) stießen auf hinhaltenden Widerstand. So wurde im Schriftverkehr von deutscher Seite u.a. angeführt: Die Legion Condor sei schließlich von Franco gerufen worden; es sei nicht eindeutig erwiesen, ob nicht doch republikanische Verbände das Massaker verübt hätten; man sei nicht bereit, den baskischen Separatismus und damit den Terrorismus der ETA zu unterstützen; die Kriegsreparationsfrage sei rechtlich noch nicht geklärt, dem könne leider nicht vorgegriffen werden; die angespannte Finanzlage Deutschlands lasse ein Engagement leider nicht zu.

Zum 50. Jahrestag der Bombardierung schließlich starteten die Bundestagsabgeordneten Petra Kelly und Gerd Bastian eine private Initiative (nachdem deutlich wurde, dass eine offizielle Initiative oder auch nur ein Besuch der Gedenkfeiern durch den deutschen Botschafter ausbleiben würde), welche eine Rede in Gernika umfasste, die sowohl ein Schuldeingeständnis als auch den Vorschlag zur Gründung eines Friedensforschungszentrums mit deutscher Unterstützung beinhaltete. Während diese Rede in Gernika sehr positiv aufgenommen wurde, verlief die deutsche Unterstützung für ein Friedensforschungszentrum im Sande; schließlich wurde es ohne diese und auf Initiative des baskischen Regionalparlamentes gegründet. Auch die Unterstützung eines Berufsbildungszentrums in Gernika durch Deutschland, welche in den Folgejahren als Alternative angestrebt wurde, verlief im Sande - trotz der sich positiv entwickelnden Städtepartnerschaft zwischen Pforzheim und Gernika, trotz auch eines diesbezüglichen Bundestagsbeschlusses vom 10.11.1988. Welche Widerstände in Deutschland selbst für diese Städtepartnerschaft zu überwinden waren, verdeutlicht der offene Brief des damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU im Pforzheimer Rathaus:

"Wir halten eine Partnerschaft mit Gernika mit dem Gedanken, dass wir, die Deutschen, dort etwas wiedergutzumachen hätten, nicht für möglich. Bei uns wird der Bombenangriff auf Gernika so dargestellt […] als ob die Legion Condor dort eine Stadt und deren Bewohner hätte auslöschen wollen. Das ist falsch und solche Darstellungen sind Geschichtsklitterung. Der Befehl, die strategisch wichtige Brücke bei Gernika zu zerstören, wurde von dem unter dem Befehl Francos stehenden spanischen Abschnittskommandanten gegeben. […] Die Legende, wie sie von stark linksgerichteten Kräften gepflegt wird, ist eine ungeeignete Basis für eine Partnerschaft." (Kasper, S. 63)

Selbst in den Bundestagsdebatten waren ähnliche Argumentationslinien gezeichnet worden. (Wie so oft kann es auch hier erstaunen, wie weit sich die öffentliche Diskussion vom Stand wissenschaftlicher Forschung entfernt und sich historischer Legendenbildung zuneigt.)

Schließlich wurde 1997 die Unterstützung des Ausbaus einer Sportanlage in Gernika durch Deutschland beschlossen, ein Akt, der wenig Bezug zum eigentlichen Anlass erkennen lässt und zudem weit hinter den Erwartungen zurückblieb.

Weit wichtiger war im Jahre 1997 der 60. Jahrestag der Bombardierung, zu dessen Anlass der damalige Bundespräsident Roman Herzog eine Botschaft an die Überlebenden von Gernika richtete, in der ein Schuldeingeständnis und die Bitte um Versöhnung enthalten waren. Der uns bekannte Luis Iriondo antwortete darauf mit einer "Erklärung der überlebenden Zeitzeugen", welche die Versöhnung ausspricht. Die unten abgedruckten Reden dokumentieren die schließlich (nach 60 Jahren) trotz aller Irritationen und Peinlichkeiten doch noch erfolgte Versöhnung.

Eine Anerkennung der Verantwortung von Seiten des spanischen Militärs steht allerdings noch aus, wie auch heute noch mancher Spanier die Version für wahr halten mag, welche die Verantwortung für das Schicksal Gernikas der republikanischen Armee zuschreibt.

Grußwort des Bundespräsidenten Roman Herzog

aus Anlaß eines Empfangs des Friedensforschungszentrums "Gernika Gogoratuz" am 27. April 1997 für die überlebenden Zeitzeugen der Bombardierung von Gernika

Am 26. April 1937 wurde Gernika Opfer eines Luftangriffes von Verbänden der Legion Condor, der den Namen dieser Stadt zu einem Symbol für eine Kriegführung machte, die eine wehrlose Bevölkerung gleichermaßen grausam und unvorbereitet traf. Der Tag von Gernika und das menschliche Leiden, für das dieser Name steht, gehören seitdem zur kollektiven Erinnerung unserer Völker.

Sechzig Jahre nach der Bombardierung sind neue Generationen herangewachsen. Aber Sie als Opfer des Angriffs tragen Ihre Erinnerungen an diesen Tag und seine Folgen noch in Ihrem Herzen. Für Sie ist noch Gegenwart, was für die meisten von uns Vergangenheit ist, obwohl uns allen die Trauer und das Leid, das damals über Gernika gebracht wurde, gegenwärtig sein muss. Ich möchte mich der Vergangenheit stellen und mich zur schuldhaften Verstrickung deutscher Flieger ausdrücklich bekennen. An Sie als Überlebende des Angriffs, als Zeugen des erlittenen Grauens richte ich meine Botschaft des Gedenkens, des Mitgefühls und der Trauer. Ich gedenke der einzelnen Menschen, denen an diesem Tag in Gernika das Lebensglück zerstört, die Familie zerrissen, das Haus vernichtet, die Nachbarschaft genommen wurde. Ich trauere mit Ihnen um die Toten und Verletzten. Ihnen, die die Wunden der Vergangenheit noch in sich tragen, biete ich meine Hand mit der Bitte um Versöhnung.

Aus:
Michael Kasper: Gernika und Deutschland. Geschichte einer Versöhnung, Gernika/Bilbao 1998, S. 87

Erklärung der überlebenden Zeitzeugen

Vor sechzig Jahren erhielten wir in Gernika einen unerwarteten Besuch. Viele von uns waren noch Kinder, und es kamen Männer aus einem fremden Land, die uns nicht kannten und die auch wir nicht kannten. Sie spürten nicht einmal Hass gegen uns, denn wir hatten ihnen nichts getan, aber sie sahen uns auch nicht so, wie wir wirklich waren. Denn sie waren oben und wir waren unten. Wenn Sie, wie wir, unten gewesen wären, hätten sie bemerkt, dass wir Kinder waren, wie es sie auch in ihrer Heimat gab, wie ihre Kinder und ihre kleinen Geschwister. Und die Frauen waren genau wie ihre Frauen, wie ihre Mütter, ihre Gattinnen und ihre Bräute.

Aber sie sahen uns nicht so. Aus ihrer Höhe sahen sie uns wahrscheinlich wie Ameisen, die verzweifelt flüchteten. Und wir konnten nicht mit ihnen sprechen. Die Menschen und die Ameisen können nicht miteinander sprechen. Und sie warfen einen Regen aus Feuer, Bomben und Verderben auf uns. Und sie zerstörten unsere Heimat. Und in jener Nacht konnten wir nicht mehr in unserem Haus zu Abend essen und nicht mehr in unserem Bett schlafen. Wir hatten kein Haus mehr. Wir hatten kein Heim mehr.

Aber diese Tat, die für uns absolut unverständlich war, hinterließ in uns keine Gefühle des Hasses und der Rache, sondern einen ungeheuer großen Wunsch nach Frieden. Den Wunsch, dass so etwas nie wieder geschehen dürfe. Den Wunsch, dass aus den Ruinen unserer Heimat eine Friedensfahne erwüchse, die alle Völker der Welt erreichen sollte.

Heute empfangen wir wieder einen Besuch. Wieder kommen zu uns Menschen aus einem fremden Land. Aber diesmal kommen sie mit einer ausgestreckten Hand, die einen oben und die anderen unten gibt es nicht mehr, und darum können wir uns verstehen, auch wenn wir verschiedene Sprachen sprechen. Jetzt, ja jetzt können wir tun, was wir damals nicht tun konnten: unsere Arme öffnen und sagen: Willkommen in Gernika, gehen wir gemeinsam den Weg des Friedens.

Aus:
Michael Kasper: Gernika und Deutschland. Geschichte einer Versöhnung, Gernika/Bilbao 1998, S. 88

Ole Göbbels, Ünal Koyuncu, Jens Aspelmeier

 
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