Forschungsstelle transnationale Kulturgeschichte
"Geschichte für alle" in europäischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts
Teilprojekt II:
"Geschichte für alle" in illustrierten Zeitschriften im
geteilten Polen
- Prof.'in Dr. Claudia Kraft, Professur für Zeitgeschichte
- Clara Frysztacka
Teilprojekt II
"Geschichte für alle" in illustrierten Zeitschriften im geteilten Polen
Wie in anderen europäischen Territorien entwickelte sich auch im östlichen Mitteleuropa im 19. Jahrhundert ein ausdifferenzierter Zeitschriftenmarkt, der aufgrund der imperialen Überschichtung dieses Teils Europas einerseits besondere Charakteristika aufwies, andererseits aber gerade in Folge der nicht nationalstaatlichen Gliederung in engen Transfer- und Verflechtungsverhältnissen mit dem restlichen Europa stand. Ganz besonders trifft diese Beobachtung für das geteilte Polen zu, dessen Territorien unter preußischer, österreichischer und russischer Herrschaft mit recht unterschiedlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung eines modernen Zeitschriftenmarktes und einer sich vergrößernden und ausdifferenzierenden Leserschaft zurechtzukommen hatten. Aus einer transnationalen Perspektive ist das Territorium des geteilten Polens von besonderem Interesse, da eine Einbindung in grenzüberschreitende politische Rahmenbedingungen und Diskurse von vornherein gegeben war. Das Zeitschriftenwesen musste nicht nur auf Zensurvorschriften Rücksicht nehmen; es reflektierte – auch bei anscheinend unpolitischer Berichterstattung – die Tatsache der staatlichen Abhängigkeit – und sei es auf diese Weise, dass bewusst tagespolitische Themen gemieden wurden und die dadurch entstandene Lücke mit Themen gefüllt wurde, die hier kompensatorische Funktionen übernahmen. Gerade in Zeiten erhöhter politischer und gesellschaftlicher Spannungen zwischen den polnischen Gesellschaften und den Gesellschaften bzw. Herrschaftssystemen der Teilungsmächte stellt sich die Frage, wie hier Selbst- und Fremdbilder in populären Zeitschriften gerade auch über Geschichtsdarstellungen kommuniziert wurden. Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Frage, inwieweit über das Zeitschriftenwesen im Zeitalter der beginnenden Massenkommunikation ein über die Teilgebietsgrenzen hinausreichender Kommunikationsraum entstehen konnte. Hier gilt es, die Wege der Informationsflüsse nachzuzeichnen und vor allem auch über die Folgen von Kommunikationshemmnissen nachzudenken: etwa über die Tatsache, dass Zeitschriften aus dem russischen Teilungsgebiet problemlos in das österreichische und preußische Teilungsgebiet eingeführt werden konnten, der umgekehrte Weg allerdings aufgrund russischer Zensurbestimmungen versperrt war; oder über die Tatsache, dass die im österreichischen Teilungsgebiet im Laufe des 19. Jahrhunderts dynamisch ausgebauten Eisenbahnstrecken an der österreichisch-russischen Grenze haltmachten.
Geschichte – vor allem die polnische, aber auch die Geschichte der Teilungsmächte sowie gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch Weltgeschichte – spielte in den populären, häufig illustrierten Zeitschriften eine zentrale Rolle, galt sie doch für die „Nation ohne Staat“ als wichtige Identitätsressource. Das Teilprojekt wird aber weniger nach der Bedeutung des illustrierten Zeitschriftenwesens für die Ausbildung national imprägnierter Geschichtsbilder suchen, sondern sich vielmehr der Frage widmen, auf welche Weise im Medium historischen Wissens eine Gesellschaft in den rasanten Modernisierungsprozessen des 19. Jahrhunderts sich ihrer Stellung in Europa gerade hinsichtlich der eigenen Modernität und der Positionierung sowohl im Raum als auch in der Zeit versicherte. Erste stichprobenartige Untersuchungen haben ergeben, dass gerade in historisch empfunden Umbruchsituationen Geschichte als Narrativ, das Orientierung versprach, eine wichtige Rolle spielte. Desweiteren gilt es zu klären, auf welche Weise, in welchen Genres, durch welche (anerkannten) Autoritäten Geschichte als gesichert geltender Wissensbestand an ein breiteres Publikum vermittelt wurde. Gerade mit illustrierten Beilagen, aber ebenso mit der Herausgabe (populär-)wissenschaftlicher Bücher, die die Zeitschriftenabonnenten zu günstigen Konditionen erwerben konnten, wurden die Presseorgane zu wichtigen Akteuren im Feld der Wissenspopularisierung. Hier scheint eine mediengeschichtlich informierte Analyse, die sich den Rahmungen widmet (erste Forschungen zu den Bildprogrammen der Zeitschriften liegen bereits vor und können als wichtige Anknüpfungspunkte für die hier verhandelten Fragen dienen), in denen etwas als Wissen gilt, und die nach den Wechselwirkungen zwischen den Wissensproduzenten und -rezipienten fragt, unerlässlich zu sein. Aber auch die Kategorie Geschlecht wird unbedingt in die Analyse einzubeziehen sein, denn Fragen der Inhalte als auch der als kompetent angesehenen Autoren waren ohne Zweifel stark durch geschlechtlich codierte Zuschreibungen geprägt. Während jedoch Frauenzeitschriften als Teil der Presselandschaft des geteilten Polen bereits mehrfach untersucht wurden, steht eine geschlechtergeschichtliche Analyse der Erzählmodi in der illustrierten Massenpresse noch aus.
Weitergehende Informationen finden Sie auf der Webseite zum Teilprojekt im Rahmen des Internetauftritts des Projekts "Geschichte für alle".