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Die Zeitungen und die Sprache, oder: warum wird eigentlich immer auf den AbiturientInnen rumgehackt?


Dass die Welt und ihr Alltag voller Fehler, Irrtümer und Nachlässigkeiten sind ist schön, schon alleine deshalb, weil diese Beobachtung uns Gelegenheit zu anhaltendem Staunen darüber gibt, dass die Welt trotzdem funktioniert. Aber müssen wir uns deshalb alles gefallen lassen? Wir wollen hier nicht das Weilheimer Tagblatt, die Siegener Zeitung und wie sie alle heißen anprangern, denn es ist klar, dass die Leute dort unter ziemlich unwürdigen Umständen versuchen, ihr nicht gerade freudiges Leben irgendwie rumzubringen. Aber von manchen Zeitungen wird man erwarten dürfen, dass es dort jemanden gibt, der vor der Drucklegung anschaut und gegebenenfalls korrigiert, was die Autorinnen und Autoren, fallibel wie wir alle, so produzieren. Doch was man zu lesen bekommt, lässt einen daran zweifeln.


Erweitern wir unser Untersuchungsfeld auf seriöse Online-Medien, z.B. Tagesschau.de (aufgerufen am 2.10.2017), unter https://www.tagesschau.de/inland/kaffeefruehstueck-steuern-101.html

»Das Finanzamt muss Ansprüche gegen eine Softwarefirma zurückziehen, die seine Mitarbeiter täglich mit frischen Brötchen und Kaffee versorgte.«

Hätten Sie derart platte Korruption in Deutschland für möglich gehalten – eine Softwarefirma, die Mitarbeiter des Finanzamts mit Brötchen und Kaffee versorgt? Tatsächlich wollte uns der Autor, wie sich herausstellt, wenn man die Meldung genauer liest, etwas anderes sagen: Die Softwarefirma hat ihre Mitarbeiter mit Brötchen und Kaffee versorgt.

Man beachte: Die Meldung erscheint jetzt korrekt auf tagesschau.de, da nachträglich »Softwarefirma« in »Softwareunternehmen« geändert wurde.


Lassen wir doch auch Online-Ausgaben zu Worte kommen: SPIEGEL-online (aufgerufen am 30.3.2013), unter http://www.spiegel.de/quiztool/quiztool-60804.html?a=321213123&aa=1

»Bradyphrenie bezeichnet tatsächlich gebremste geistige Funktionen, ein Symptom bei bestimmten Erkrankungen des Gehirns. Die Neurologen haben lediglich die typischen Beschwerden ihres Patienten beim lateinischen Namen genannt.«

Ok, das Quiz, aus dem diese Sätze stammen, steht unter dem Oberbegriff »Ärztelatein«, wo »Latein« metaphorisch verwendet wird. Aber der »lateinische Name« in dem Zitat ist keine Metapher. sondern ein Zeichen von Ungebildetheit. Ich habe auch nicht mehr Altgriechisch gelernt, aber so viel sollte man in einem Leben von zwei, drei Dutzend Jahren oder vielleicht auch mehr schon aufgeschnappt haben, um zu wissen, dass beide Bestandteile des Wortes »Bradyphrenie« eben dieser Sprache und nicht dem Lateinischen entstammen.


Die ZEIT Nr. 50 vom 4. Dezember 2008, S. 79

»Mittlerweile beschäftigt dieser Bildungsabsturz [von Zuwanderern, deren ausländische Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, WL-M] auch die Politik. Maria Böhmer, Integrationsbeauftrage des Bundes, hat eine Studie namens Brain Waist in Auftrag gegeben.«

Bildungsabsturz müsste man ja wohl der Integrationsbeauftragten attestieren, hätte sie eine Studie namens »Hirn-Taille« zu verantworten. Hat sie aber gar nicht. Im Gegensatz zur ZEIT kann die Integrationsbeauftrage durchaus etwas Englisch und schreibt korrekt (ob's schön ist, lassen wir mal dahingestellt) »Brain Waste«.


Die ZEIT Nr. 22 vom 24. Mai 2006, S. 90

Eine Episode aus dem zweiten Weltkrieg:
»Als sie eines Morgens den Berg Ida vor sich sahen, hörte Fermor seinen Gefangenen Verse murmeln – altgriechische. Er kannte sie. Horaz.«

Ja, das waren noch Zeiten, das war noch Bildung! In Griechenland einfach Homer im Original aus dem Gedächtnis aufsagen, das kann ja jeder. Nein, es muss schon Horaz sein. Wie schade, dass die Welt heute in ihrer Bildungsferne keine Übersetzungen von dessen Schriften ins Altgriechische bereit hält. Wahrscheinlich haben Leute wie Patrick Leigh Fermor und sein Gefangener, der deutsche General Kreipe, die Übersetzungen noch selbst angefertigt. Nun ja, sic transit gloria mundi.

PS Auf einen Leserbrief an die ZEIT hin, bei dem ich um näheren Aufschluss um die griechischen Horaz-Texte bat, erhielt ich immerhin eine E-Mail mit einer Entschuldigung des Autors des Artikels. Und dem Hinweis, dass nicht etwa (wie ich vermutet hatte) tatsächlich Homer (re)zitiert worden sei; nein, es war schon Horaz, aber natürlich auf Lateinisch.


Die ZEIT vom 2. März 2006, S. 53

»Ich lese Lyrik, seit ich in der Toskana Steh-greifgedichte vortrug«

zitiert das Blatt Roberto Benigni. Obwohl dieser auch Gedichte auf Deutsch vortragen kann, wird das Wort »Steh-greif« kaum aus seinem Munde stammen. Nein, es war schon die ZEIT-Redaktion selbst. Mit welchem Recht beklagen wir uns dann noch, dass mindestens ein Drittel der Studierenden »Standart« schreibt?


Süddeutsche Zeitung Nr. 70 vom 26./27./28. März 2005, S. V2/2

»Die Zinsen der Finanzierungsinstitute haben sich in den letzten Tagen von einer insgesamt stabilen Seitwärtsbewegung gezeigt. (...) Für die kommenden Tage zeichnet sich aus heutiger Sicht jedoch keine wesentliche Änderung des Konditionsgefüges ab.«

Hier mal ein Beispiel dafür, dass man auch grammatikalisch korrekt grauenvolle Sätze bilden kann. Jeder Deutschlehrer würde hierfür eine Sechs geben in der Hoffnung, dass der Schüler durchfällt und einen nie wieder mit solch aufgeblähtem Nichts behelligt.


Süddeutsche Zeitung Nr. 117 vom 22./23. Mai 2004, S. 16

»Für Verlage wie La Decouverte oder 10/18, die bislang mit ihrem Programm ein dezidiert linksintellektuelles Image pflegten, wird das Erlebnis, jetzt einem Familienunternehmen zu gehören, dessen Erfolg sich Anschauungen verdankt, die in einem eklatanten Widerspruch zum Inhalt vieler Bücher stehen, die von ihnen bislang verlegt wurden, könnte dies beispielsweise eine Identitätskrise zur Folge haben.«

Gewiss, der Satz weckt Assoziationen, keine schlechte Eigenschaft von Sätzen. Allerdings handelt es sich dabei vor allem um die Erinnerung an Tucholskys »Ratschläge für einen schlechten Redner«. Nur dass der seine Hypotaxe überblickte, während es hier definitiv im Gebälk kracht. Da ist es dann auch nicht mehr wichtig, die Akzente der französischen Sprache korrekt wiederzugeben. Vom Inhalt des Satzes ganz zu schweigen: Ging es den genannten Verlagen wirklich darum, ein Image zu pflegen? Und: So konsistent es sein mag, jemandem, der ein Image pflegt, auch gleich eine Identitätskrise anzudichten – ist das normalerweise nicht etwas für Männer mittleren Alters, die in ihrem Leben noch nichts Richtiges zu Stande gebracht haben?


DIE ZEIT Nr. 14 vom 25. März 2004, S. 34

»Dann [scil. im Jahr 2010] soll die Alte Welt 50 Prozent mehr Wissenschaftler und Ingenieure beschäftigen als 2001 und in der Qualität seiner Bildungssysteme weltweit führen ...«

.. schreibt das Organ der Gebildeten, selbstverständlich auf einer Seite über die (fragliche) Zukunft Europas als weltbester Wissensgesellschaft. Naja, so wird wohl wirklich nichts draus. Wie schreiben unsere 17-jährigen so schön? Qualität hat seinen Preis ...

Ähnlich Nr. 52 vom 20. Dezember 2006: »Ein gut laufendes Unternehmen ist für eine Stadt aber viel mehr wert als hundert Millionäre, weil eine Stadt die Gewerbesteuern für sich behält, von den Einkommenssteuern seiner Bewohner nur einen kleinen Teil.«


DIE ZEIT Nr. 14 vom 25. März 2004, S. 48

»Das verschwiegendste aller verschwiegenen Bilder«

... untertitelt dick und fett das nämliche Organ eine Wiedergabe von Giorgiones »Tempesta«. Auch jenseits des peinlichen Rechtschreibfehlers inhaltlich dubios, zumindest arg marktschreierisch – wenn es sich auch um ein Zitat aus dem Ausstellungskatalog handelt, so muss man das ja nicht unbedingt wiedergeben.


DIE ZEIT Nr. 11 vom 4. März 2004, S. 11

»Frieden« übersetzt die ZEIT das Wort Νικη, welches in großen Lettern auf einem Wahlkampfplakat der ΠΑΣΟΚ prangt.

Ob sich da die Firma Nike gefreut hat? Laufen für den Frieden – erklärt das den weltweiten Siegeszug der Sportschuhe dieser Firma?

Im Ernst: Das wäre ein guter Casus für eine Psychoanalyse des politischen Unterbewussten. Warum rutscht einer Person, die im richtigen Leben vermutlich weiß, dass Νικη »Sieg« bedeutet, hier »Frieden« aufs Papier respektive in die Textverarbeitung? Für unsere Zwecke aber bestätigt sich wieder die Lehre: Auch einem Organ wie der ZEIT nie trauen, im Zweifelsfall selbst prüfen.


Manager-Magazin Top-News (Online-Version), 7.1.2004, Frank Patalong: »Computerviren: Angst, Geiz, Gier«

»Selbst weitgehend testosterongetriebene Computeruser enthielten sich zunehmend dem Klick-Reflex.«

Da kann ich mich jedem Kommentar enthalten.


DIE ZEIT Nr. 52 vom 17. Dez. 2003, S. 46

»Die Verdienste von Simon Wiesenthal, den Klarfelds und anderer sind unbestritten; (...).«

Im Klartext: »Die Verdienste von Simon Wiesenthal, von den Klarfelds ...« – das streicht der Lehrer in der 3. Klasse Grundschule an. Und dabei hat sich die Existenz des Genitivs (oder sollten wir, um verstanden zu werden, sagen: von dem Genitiv?) doch offensichtlich bis zum Autor herumgesprochen. Aber noch nicht im Sprachgefühl festgesetzt.


Schon alt, aber immer noch gut: taz, 13.12.93 auf der letzten Seite über den Tod von Jimi Hendrix

»Kathy Etchingham, eine Freundin Hendrix', behauptet, die Ambulanz sei nicht sofort gerufen worden«.

Ob es daran lag? Egal ob man die Ambulanz gleich oder später ruft, sie kommt und kommt nicht. Wir müssen schon selbst hingehen. Sicherlich wollte uns der Autor oder die Autorin mitteilen, die »ambulance», also der Notarztwagen, sei nicht gleich gerufen worden.

 
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