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Rätsel um falschen Eco-Roman

Der Literaturwissenschaftler Dr. Niels Penke von der Uni Siegen hat vor sechs Monaten einen bis dato unbekannten Roman von Umberto Eco entdeckt – und ihn als Fälschung identifiziert. Seitdem ist eine Detektivjagd nach dem Ursprung der Novelle im Gang.

Ein bisschen komme er sich vor, als sei er selbst Figur in einer Umberto Eco-Geschichte, sagt Dr. Niels Penke. Denn auch in den Romanen des weltberühmten italienischen Autors geht es häufig um den Fund mysteriöser Bücher und damit in Verbindung stehende Rätsel. Mit einem solchen Rätsel sieht sich seit einigen Monaten auch Penke konfrontiert: Ende 2022 entdeckte der Literaturwissenschaftler der Uni Siegen bei Ebay ein Büchlein mit dem Titel „Carmen Nova“ aus dem Jahr 1984, als Autor ist auf dem Cover Umberto Eco angegeben. Bei der Lektüre wurde Penke jedoch schnell stutzig: Der sperrige Text passte so gar nicht zum sonstigen Werk Ecos. Penke begann zu recherchieren und kam bald zu der Überzeugung, dass es sich bei dem Buch um eine Fälschung handeln muss. Seit der Wissenschaftler seinen Verdacht im Februar öffentlich auf X (damals noch Twitter) äußerte, ist unter Literaturexperten eine Art Detektivjagd im Gang.

„Am Anfang dachte ich mir einfach nur: Meine Güte, was für ein anstrengender Text. Was zur Hölle hat Eco nur bewogen, diese Carmen Nova_webNovelle zu verfassen“, beschreibt Penke seinen ersten Eindruck von „Carmen Nova“. Das habe er genauer wissen wollen und habe daher zunächst in Standardwerken wie dem Eco-Handbuch oder in Eco-Biografien nach Hinweisen auf das Buch gesucht – ohne Erfolg. Der Literaturwissenschaftler nahm das vergilbte Büchlein daraufhin genauer unter die Lupe und stellte fest, das sämtliche Angaben im Impressum fingiert sind: die dort genannten Verlage gibt es nicht, ebenso wenig die ISBN-Nummer oder den Schrifttyp „Wake-Diktion“. Stattdessen entdeckte der Literaturexperte jede Menge versteckte Hinweise und literarische Anspielungen auf andere Schriftsteller und Romane.

Penke bezeichnet „Carmen Nova“ als „unglaublich gut gemachtes Text-Konsortium“: Neben der eigentlichen Kriminal-Novelle, die sich um die Suche eines Ich-Erzählers nach einer ominösen Frau namens Carmen dreht, sind auf den knapp 70 Seiten unter anderem eine Einleitung, diverse Notizen und Anmerkungen sowie ein Interview und ein Nachwort zu finden, das angeblich von dem französischen Schriftsteller Roland Barthes stammt. „Da hat sich jemand wirklich viel Mühe gemacht“, sagt Niels Penke. „Es ist bemerkenswert und irgendwie auch tragisch, dass dieser enorme Aufwand fast 40 Jahre lang komplett unter dem Radar geblieben ist – wie eine Flaschenpost, die 1984 in einen Fluss geworfen wurde und jetzt erst aufgemacht wurde.“

Dabei sind über die Jahre auch andere Personen auf „Carmen Nova“ gestoßen. Mehrere von ihnen haben sich inzwischen über Social Media bei Penke gemeldet. „Mir hat zum Beispiel jemand geschrieben, der das Buch 1984 in einer Hamburger Kneipe zusammen mit einem Raubdruck von ‚Der Name der Rose‘ erworben hat“, berichtet der Literaturwissenschaftler, der inzwischen von insgesamt 15 Exemplaren weiß, von denen jedoch nur zwei in Bibliotheken zugänglich sind. „Genauer angeschaut hat sich das Buch aber in der Vergangenheit offenbar niemand“, staunt Penke, für den die Unwahrscheinlichkeit dieser Geschichte gleichzeitig ihre Faszination ausmacht: „Umberto Eco ist ein Superstar der Literaturwelt – und dann gibt es dieses angebliche Buch von ihm, auf das jahrzehntelang kein Mensch aufmerksam geworden ist. Das ist schon verrückt.“

In Literaturkreisen schlägt „das Rätsel“ seit Februar hohe Wellen und hat eine kollektive Spurensuche ausgelöst: Immer wieder melden sich bei Penke Expert*innen mit neuen Hinweisen, die Feuilletons mehrerer großer Zeitungen haben bereits über den Fall berichtet. Sogar die Familie von Umberto Eco ist aktiv geworden und hat in der persönlichen Bibliothek des Autors sowie in seinem Nachlass recherchiert. „Ich habe dann nachts eine Mail von Umbertos ältestem Sohn Stephano bekommen, der die Sache ebenfalls total faszinierend fand, aber keinen Hinweis finden konnte, dass sein Vater von dem Buch wusste“, erzählt Penke. Auch eine heiße Spur, die ihn zwischenzeitlich zu einer Literaturtheoretikerin als möglicher Verfasserin der Novelle geführt habe, habe sich im Sande verlaufen.

Dennoch ist Niels Penke, der zum kommenden Wintersemester aus der Elternzeit zurückkehrt und an der Universität Siegen eine Vertretungsprofessur übernehmen wird, wild entschlossen, das Rätsel um „Carmen Nova“ zu lösen. Als mögliche weitere Ansatzpunkte sieht er eine forensische Analyse des Papiers, auf dem die Novelle gedruckt ist, digitale Möglichkeiten der literarischen Textanalyse mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und verschiedene Expert*innen, die ihm empfohlen wurden – darunter ein Staatsanwalt, der in den 80er Jahren intensiv in Raubdruck-Kreisen ermittelt habe. „Mich treibt dabei vor allem die Frage nach dem ‚Warum‘ um. Warum hat jemand dieses Buch verfasst und was wollte er oder sie damit bezwecken? Umberto Eco an der Nase herumführen? Den Literaturbetrieb irritieren? Das würde ich wirklich gerne herausfinden“, sagt Niels Penke.

Kontakt:
PD Dr. Niels Penke (Universität Siegen, Germanistisches Seminar)
E-Mail: penke@germanistik.uni-siegen.de

 
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