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Aufwachsen mit dem Smartphone

WissenschaftlerInnen der Universität Siegen untersuchen, wie sich Smartphones auf Lernprozesse und die Sozialisation von Kindern auswirken. Das Projekt ist Teil des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“.

Die kleinen Hände können das Smartphone kaum greifen, aber schon Vorschulkinder wissen, wie sie durch Wischen und Tippen Bildchen oder Spiele auf den Bildschirm zaubern. Smartphone, Tablet oder Laptop gehören zum Familienalltag. Die Kleinen werden damit groß. Viele Eltern verunsichert das. Schadet der frühe Mediengebrauch den Kindern oder können sie sogar davon profitieren? Verbieten, kontrollieren oder fördern? Prof. Dr. Jutta Wiesemann kennt die Fragen und Sorgen von Eltern – und die Diskussionen, die daraus folgen. Als Pädagogin und Wissenschaftlerin fordert sie erstmal eines: Genau hinschauen, was in den Familien mit den neuen Medien passiert. Das tut sie zusammen mit KollegInnen in dem Forschungsprojekt „Frühe Kindheit und Smartphone“. Seit über einem Jahr begleiten die WissenschaftlerInnen 17 Familien mit Kindern im Alter von null bis sechs Jahren. Die in dieser intensiven Form bislang einmalige wissenschaftliche Untersuchung ist Teil des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“ an der Universität Siegen. Sie lässt neue Einblicke und Einsichten in die grundlegenden Veränderungen unserer Kommunikations- und Lebensweise erwarten.

„Natürlich sind Smartphones für Kinder interessant. Nicht nur, weil sie leuchten und interaktiv sind, sondern auch, weil sie für die Eltern und deren Alltag eine zentrale Rolle spielen“, sagt Prof. Wiesemann. „Wir beobachten, wie Smartphones und Tablets im Familienalltag konkret genutzt werden, welche Routinen sich in den Familien eingespielt haben.“ Regelmäßig ist das Forscher-Team dazu in Familien zu Gast, manchmal sogar über mehrere Tage. Die Familien leben über ganz Deutschland verteilt, eine in der Schweiz. Bewusst wurden für das Projekt Eltern und Kinder mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen ausgewählt, manche leben in Großstädten, andere auf dem Dorf. Bei ihren Besuchen haben die WissenschaftlerInnen fast immer auch eine Kamera dabei. Das Ziel: an ganz alltäglichen und realen Szenen aus dem Familienalltag zu forschen. Ethnografische Forschung nennt sich diese Methode. Das Projekt profitiert dabei von den langjährigen Erfahrungen der Kameraethnografin und Kollegin Dr. Bina Mohn.

Lernprozesse der Kinder im Fokus

../images_new/2017/Smartphone_web3.jpgEin besonderes Interesse liege auf der Entwicklung von Lernprozessen bei den Kindern, erklärt Wiesemann: „Wir möchten herausfinden, wie Smartphones diese Prozesse beeinflussen. Inwiefern lernen Kinder heute anders?“ Beispielsweise habe sich das Verständnis von „Anwesenheit“ und „Abwesenheit“ durch den alltäglichen Gebrauch von Smartphones und Tablets grundlegend verändert. „Früher war eine Bezugsperson weg, wenn sie den Raum verlassen hat. Heute kann sie für das Kind weiterhin anwesend sein – zwar nicht körperlich, aber eben via Skype oder Videoanruf über das Smartphone.“ Auch das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern verändert sich durch den Einzug der Geräte in den Familienalltag, haben die ForscherInnen um Wiesemann beobachtet. „Kinder hantieren häufig mehr oder weniger selbstständig mit den Smartphones. Die Erwachsenen sind damit nicht mehr die alleinigen Bedienungs- und Wissensmonopolisten“, stellt Wiesemann fest.

Veränderungen, die selbstverständlich auch die Eltern und Großeltern wahrnehmen. Viele vergleichen den heutigen Familienalltag mit der Art und Weise, wie sie selber aufgewachsen sind. „Das verunsichert“, weiß Wiesemann. „Aber diese Verunsicherung löst jedes neue Medium aus. Die gab es auch bezüglich Radio, Fernsehen, Video und natürlich bei den PCs.“ Man berufe sich dann gern auf die Überforderungsthese, nach der kindliche Interaktion mit dem Bildschirm grundsätzlich gefährlich ist. Sie mache die Kleinen dick, aggressiv, hibbelig und schlafgestört, wie vor kurzem sogar die Bundesregierung aufgrund einer Studie, die im Auftrag der Drogenbeauftragten entstand, warnte. Wiesemann möchte wegkommen von der Frage: „Was schadet es?“ Stattdessen müssten die neuen Medien als soziales Phänomen und ihre Rolle innerhalb der Familien akzeptiert werden. „Wir können diese Entwicklung nicht zurückdrehen, aber es ist wichtig zu erkennen, wie sich Kindern durch Smartphones die Welt eröffnet, damit wir als Eltern, Pädagogen und Gesellschaft darauf reagieren können.“

Das Smartphone als Haushaltsgegenstand

Die Siegener WissenschaftlerInnen fordern in diesem Zusammenhang einen differenzierteren Blick. „Man muss sehen, in welchen sozialen Kontexten Smartphones oder Tablets in der Familie genutzt werden“, so Wiesemann. Die Beobachtungen zeigen: Sie werden zum Musik hören, Filme gucken und Spiele spielen, als Bilder- oder Malbuch, zum Telefonieren, Fotos machen und als Fotoalbum eingesetzt. Sie bieten die Möglichkeit, Großeltern oder Freunde am Familienleben teilhaben zu lassen, obwohl sie weit entfernt leben. „Wir stellen fest, dass das Smartphone in den Familien immer mehr zu einem Haushaltsgegenstand wird. Für niemanden tabu, auch nicht für die Kleinsten.“

Neben den Momentaufnahmen aus dem Alltag behalten die WissenschaftlerInnen auch die Langzeitfolgen im Blick. Wie gehen Kinder heute mit Privatheit und Öffentlichkeit um? Wie verändern sich Identitätskonzepte, wenn sie sich selbst auf dem Smartphone in Filmen und Bildern beim Aufwachsen beobachten? Wiesemann: „Wir wollen erfahren, was das Smartphone mit den Biographien der Menschen macht.“ Für die Eltern-Generation, die nicht mit dem Smartphone aufgewachsen ist, sehe das ganz anders aus, als für heutige Kinder. Wiesemann: „Sie kennen es nicht anders. Ihr Leben ist dokumentiert von Anfang an. Sie werden es später einmal in Bildern erzählen können.“

Hintergrund
Das Projekt ist eins von insgesamt sechszehn Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“ an der Uni Siegen. Geleitet wird es von Prof. Dr. Jutta Wiesemann, weitere MitarbeiterInnen sind Clemens Eisenmann, Inka Fürtig, Dr. Jochen Lange und Dr. Bina Elisabeth Mohn. Der SFB wird von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) gefördert und ist Anfang 2016 gestartet. Über 60 WissenschaftlerInnen erforschen dort interdisziplinär digitale Medien und die durch sie hervorgerufenen, gesellschaftlichen Veränderungen.

Kontakt: Prof. Dr. Jutta Wiesemann, Tel.: 0271-740 3445, E-Mail: wiesemann@erz-wiss.uni-siegen.de

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Kinder gehen heute im Alltag selbstverständlich mit dem Smartphone um, wie diese Geschwister.
Alle Fotos: Bina Elisabeth Mohn

 
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