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Nachruf auf Prof. Dr. DCom. Bodo Gemper

Wir trauern um einen herausragenden Kollegen, der sich auch in seinem Ruhestand bis zuletzt in einzigartiger Weise um die Universität Siegen verdient gemacht hat und dessen Warmherzigkeit und Engagement wir vermissen werden.

Am 2. Juni 2023 ist Herr Professor Dr. DCom. Bodo Gemper verstorben. Er stand im 88. Lebensjahr. Herr Kollege Gemper hatte der Fakultät III (ehemals Fachbereich 5) unserer Hochschule seit der Gründungsphase Anfang der 1970er Jahre angehört und das Fach Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, unterrichtet. Wir trauern um einen Hochschullehrer, der über fünf Jahrzehnte hinweg in einzigartiger Weise die Verbindung zur Öffentlichkeit des Siegerlandes hergestellt hat.

Bodo Gemper wurde am 30. Januar 1936 in Jena geboren. Nach dem Abitur an der Adolf-Reichwein-Oberschule in Jena im Jahre 1955 nahm er ein Studium der Arbeitsökonomik an der Karl-Marx-Universität Leipzig auf, nachdem er in Jena für das Fach Anglistik aus politischen Gründen abgelehnt worden war. Seine kritische Haltung zu den politischen Verhältnissen in der DDR veranlasste ihn im Jahre 1959 zur Übersiedlung nach Westdeutschland. In Frankfurt am Main setzte er sein Studium fort, nunmehr im Fach Wirtschaftswissenschaften. Tief beeindruckte ihn hier Franz Böhm, der als prominenter Vertreter der Freiburger Schule ordoliberalen Denkens ein Mitstreiter Ludwig Erhards bei der Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft war. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen im totalitären und planwirtschaftlichen System der DDR kam es zur endgültigen Hinwendung Gempers zum freiheitlichen Ordnungsbild in Gesellschaft und Wirtschaft. Neben der Ordnungspolitik wurde das Fach Finanzwissenschaft zu seinem zweiten zentralen Interessengebiet, nicht zuletzt angeregt durch die beeindruckende Lehre von Prof. Fritz Neumark.

In dieser Zeit entfaltete sich bereits in Frankfurt am Main Gempers besondere Neigung, wissenschaftliche Veranstaltungen zu organisieren, auf denen er herausragende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik zusammenführte. Einer der Ersten war der Politologe Wolfgang Leonhard, der bereits im Jahre 1950 mit dem DDR-Regime gebrochen hatte. Gemper war in jener Zeit Referent für Staatsbürgerliche Bildung und Kultur im AStA der Universität Frankfurt am Main und hatte ihn 1960 zu einem Vortrag gewinnen können. Leonhard hatte durch sein Buch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ eine hohe Prominenz gewonnen, welche bis in die 2000er Jahre anhielt.

Anders als die meisten Studierenden seiner Zeit wechselte Gemper noch einmal seine Alma Mater, ging nach Würzburg und dann in die Schweiz. Dort musste er manche Gelegenheitsarbeit annehmen, um sich finanziell über Wasser zu halten. 1965 legte er dann in Bern sein Lizenziat der Wirtschaftswissenschaften ab. Das Thema der sich anschließenden Dissertation nahm er mit zurück nach Deutschland, wo die Schrift nebenberuflich entstanden ist.

Im wissenschaftlichen Institut des Deutschen Gewerkschaftsbundes trat er 1967 die erste berufspraktische Stellung als Volkswirt an, zunächst in Köln, dann in Düsseldorf. Es folgten Tätigkeiten beim Einzelhandelsverband in Bonn und beim Institut für Finanzen und Steuern, wiederum in Bonn. Damit hatte er beide Seiten des Denkens der Sozialpartner aus nächster Nähe kennen gelernt.
Die Promotion zum Doktor rer. pol. an der Universität Bern erfolgte 1970. Das Thema der Dissertation lautet: „Die Vermögensteuer im Rahmen der modernen allgemeinen Einkommensteuer. Eine steuerwirtschaftliche Betrachtung als Beitrag zur Gesamtsteuerreform“. Der Untertitel verdeutlicht Gempers Hang zur Verbindung von Wissenschaft und Praxis, und das heißt konkret zur Verbindung von Volkswirtschaftslehre und Politik. Nach seiner Pensionierung im Jahre 2001 verfasste Gemper eine weitere Doktorarbeit an der Universität Pretoria, mit der er zum DCom. promoviert wurde.

Die Verbindung von Ökonomie und Politik wurde dann auch kennzeichnend für das Wirken als Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, an der damaligen Gesamthochschule und späteren Universität Siegen von 1973 bis 2001. Die politische - genauer die ordnungspolitische - Herangehensweise im Sinne Walter Euckens, Franz Böhms und Ludwig Erhards schlug sich in all seinen Lehrveranstaltungen nieder. Von ihr zeugt auch sein Lehrbuch „Wirtschaftspolitik. Ordnungspolitische Grundlagen“ aus dem Jahre 1994. Darüber hinaus schlug sie sich nieder in der Organisation studentischer Exkursionen, dorthin, wo Politik gemacht wird, z.B. zur Deutschen Bundesbank und zur Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. Anlaufpunkte in der wirtschaftlichen Praxis sind zudem Unternehmen, welche Dienstleistungen erbringen, so die Deutsche Bank und die Frankfurter Börse, die Schottwerke in Mainz und die Edelsteinmanufakturen in Idar-Oberstein.

Um im Hinblick auf die Probleme der Praxis à jour zu bleiben, nutzte Gemper auch regelmäßig die Möglichkeit zu vorlesungsfreien Praxis- und Forschungssemestern. Erwähnt seien die Tätigkeiten im Direktorium der Schweizerischen Nationalbank in der Kapitalmarktabteilung im Winterhalbjahr 1978/79 in Bern sowie beim Vorstand der Deutschen Bank AG im Sommerhalbjahr 1984 in Frankfurt am Main.

Ein besonderes Anliegen war es Bodo Gemper, auch außerhalb der Universität Siegen die Botschaft der Sozialen Marktwirtschaft, die negativen Erfahrungen der Teilung Deutschlands und die Folgen repressiven Umgangs mit Menschen im sog. „real existierenden Sozialismus“ aus eigener Anschauung überzeugend zu erklären. Zudem vertrat er das Konzept der Gesamthochschule nach außen. 161 Vorträge rund um den Erdball mit Schwerpunkten in den USA und in Südafrika zeugen von dieser missionarischen Arbeit. Dabei kam ihm zugute, dass ihm sein weltoffenes und unabhängiges Denken regelmäßig Einladungen zu Gastprofessuren einbrachte. Fünfmal nahm er Gastprofessuren an der Portland–State–University in Oregon sowie sechsmal an der Universität Pretoria wahr. Er konnte dabei auf seine Publikationen zurückgreifen, die sich in zwei Monographien und mehr als 100 Aufsätzen niedergeschlagen haben. Die bevorzugten Arbeitsgebiete waren neben der bereits erwähnten Finanzwissenschaft zum einen Fragen der Stabilitätspolitik im internationalen Vergleich, u.a. Probleme der Europäischen Währungsunion. Zum anderen befassen sich die Arbeiten – herkommend von den geistigen Ursprüngen unserer Wirtschaftsordnung in Gempers Heimatstadt Jena – mit Fragen der Wirtschaftsordnung, z.B. der Rolle der Industriepolitik in der Marktwirtschaft und dem internationalen Vergleich der Wirtschafts- und Sozialordnungen der Schweiz, Südafrikas, der USA und Deutschlands.

Ein ganz besonderes Markenzeichen seiner langen Jahre als Hochschullehrer waren die wirtschaftspolitischen Tagungen mit namhaften Referenten, die sich an ein breites, insbesondere außeruniversitäres Publikum richteten. Die größte und in ihrer ordnungspolitischen Wirkung wohl nachhaltigste öffentliche Veranstaltung war die des Jahres 1972. Im Oktober jenen Jahres, als er gerade nach Siegen gekommen war, hatte er keine Geringeren als den Bankier Hermann Josef Abs, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes Ernst Benda und den früheren Bundesminister für Wirtschaft sowie Bundeskanzler Ludwig Erhard in der Evangelischen Akademie Loccum zusammengeführt, um nach 25 Jahren Soziale Marktwirtschaft eine Zwischenbilanz zu ziehen. Nach vier Loccumer Tagungen gestaltete Bodo Gemper dann zusammen mit dem Dominikanerpater Professor Dr. Edgar Nawroth im Dominikanerkloster St. Albert zu Walberberg, zwischen Bonn und Köln gelegen, die Systemsymposien, 18 an der Zahl.
Doch sehr bald verlegte er seinen Schwerpunkt staatsbürgerlicher Interessen und ordnungspolitischer Aktivitäten ins Siegerland. Zu erwähnen sind zunächst die zehn Kolloquien „Hochschule und Gemeinde“, die zwischen 1988 und 1998 zusammen mit dem Wilnsdorfer Gemeindedirektor Karl Schmidt organisiert wurden. Im Jahre 1998 begründete er dann die Franz-Böhm-Kollegs. Diese Kollegs waren Ausdruck des Bemühens, über Zeitfragen mit Zukunftswirkung nachzudenken und zu konstruktiv-kritischem Engagement im Dienste einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung anzuregen. Im Verlauf von 25 Jahren haben 21 Kollegs stattgefunden, die sich zu einer nicht nur von den Siegerländer Bürgern viel beachteten und von ihnen angenommenen Veranstaltungsreihe entwickelten.

Auch in der Hochschule gestaltete Prof. Gemper die Lehre nicht nur wirklichkeitsnah, sondern auch weltoffen, u.a. durch die Einladungen herausragender Gelehrter und Wirtschaftspraktiker, unter ihnen Träger des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften, die Professoren Jan Tinbergen im Jahre 1978 und James M. Buchanan, der sogar zweimal Gempers Einladung folgte. Mit großer Zähigkeit und zupackender Freundlichkeit gewann er die Persönlichkeiten, indem er den Weg durch die Vorzimmer fand und die zunächst abwinkenden persönlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter letztlich doch überzeugte. Das alles ohne Universitätsinstitut im Rücken, ohne Assistenten, nur mit einer studentischen Hilfskraft. Gemper folgte dabei erklärtermaßen Goethes Diktum „Man kann unendlich viel tun, wenn man mit Folge arbeitet und der Langeweile flieht.“

Über seine besondere Neigung zur Gestaltung öffentlicher Veranstaltungen und Auslandsreisen hat Bodo Gemper aber seine Pflichten in der akademischen Selbstverwaltung nicht vernachlässigt: Elfmal war er Mitglied einer Berufungskommission, einmal davon als Vorsitzender, bis zum Jahr 1999 Mitglied des Promotionsausschusses unseres Fachbereiches, neunmal Mitglied des Fachbereichsrates sowie einmal Mitglied des Senates unserer Hochschule.

Gerade sein ehrenamtliches gesellschaftspolitisches Wirken, wie beispielsweise die Gestaltung der Franz-Böhm-Kollegs und das damit verknüpfte geduldige Fischen im Spendenteich, hat er als Bringschuld eines Hochschullehrers an die Bürgerschaft der Siegener Industrie- und Kulturregion empfunden. Dies nicht nur als Dank für die intellektuelle Unabhängigkeit, die ihm die Freiheit in Lehre und Forschung gewährte, sondern auch und gerade als Verbundenheit zum Siegerland. Diese starke Verbundenheit zum oberen Tal der Sieg bewies er, als er die Chance bekam, schon in der Wendezeit am Aufbau neuer freiheitlicher Strukturen in Thüringen in ehrenvoller Position mitwirken zu dürfen. Obwohl er damit auch wieder in sein elterliches Refugium und zu den Wurzeln seiner Bildung hätte zurückkehren können, entschied er sich, im Siegerland zu bleiben.

Wir trauern um einen Kollegen, der sich – über alle Strömungen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft hinweg – immer seine geistige Unabhängigkeit bewahrte. Er hat sich in einzigartiger Weise um die Universität Siegen verdient gemacht, nicht nur über 30 Jahre hinweg durch hervorragenden Einsatz in der Lehre, in der Forschung und in der Selbstverwaltung, sondern auch mehr als ein halbes Jahrhundert durch die vielfältige Verknüpfung der Universität mit dem „Rest der Welt“. Er hinterlässt eine schmerzliche Lücke und wird uns in sehr geschätzter Erinnerung blieben.

Prof. Dr. Jan Franke-Viebach, im Juni 2023

 
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