Mehr als ein akademischer Wettbewerb
Bei der größten Simulationskonferenz der Vereinten Nationen in New York wurden Siegener Studierende mehrfach ausgezeichnet. Die Delegation vertrat in diesem Jahr Eritrea.
Der Weg ans Mikrofon ist kein leichter, wenn man in 300 erwartungsvolle Gesichter blickt. 90 Sekunden, um eine politische Position auf den Punkt zu bringen. Auf Englisch. Noch dazu als Vertreter eines Landes, von dem ein Großteil der Zuhörerinnen und Zuhörer kaum mehr weiß, als dass es in Nordostafrika liegt und häufig von Dürren heimgesucht wird. Und diejenigen, die mehr wissen, spitzen schon die Bleistifte, um sich Stichwörter zu notieren, mit denen sie in der Diskussion die Delegierten Eritreas konfrontieren wollen. Menschenrechtsverletzungen stehen ganz oben auf der Liste.
David Hersonskij war derjenige, der im Komitee für internationale Sicherheit und Abrüstung als erster ans Mikro gerufen wurde. Seine Premiere bei National Model United Nations (NMUN), einem akademischen Wettbewerb, bei dem Studierende aus aller Welt für fünf Tage in New York in die Rollen von Delegierten der Vereinten Nationen schlüpfen. Hersonskij gehörte zur Delegation der Universität Siegen, die in diesem Jahr Eritrea vertrat. Zwölf Studierende waren vor Ort, um politische Themen zu diskutieren, sich auf Lösungsansätze zu einigen und dabei die Abläufe der „echten“ UN zu verstehen. Eine schwierige Angelegenheit, die diplomatisches Fingerspitzengefühl erfordert. Eine gewisse Nervosität sei natürlich da gewesen, als er als „Speaker“ nach vorne musste, erzählt Hersonskij. „Aber ich fühlte mich gut vorbereitet“, so der 25-Jährige, der seinen Master in Angewandter Sprachwissenschaft macht.
Um in New York dabei sein zu können, muss man ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren durchlaufen. Gerrit Pursch, der MUN-Koordinator an der Uni Siegen, betont die gebotenen Qualitätsansprüche für die Teilnahme an NMUN in New York. „Wir messen uns dort schließlich mit den besten Unis der Welt und es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass wir nicht nur dabei sind, sondern auch hervorragend abschneiden“, fasst Pursch zusammen. So wie schon in den vergangenen 15 Jahren hat die Siegener Delegation mehrere Auszeichnungen mit nach Hause gebracht: Preise für zwei Positionspapiere und die höchste Ehrung als „Outstanding Delegation“.
„Ein wunderbarer Erfolg, der den internationalen Charakter unserer Universität unterstreicht“, lobt Prof. Dr. Hans Merzendorfer, Prorektor für Studium, Lehre und Qualitätsmanagement. „Gerade in Zeiten zahlreicher internationaler Konflikte, ist das Verständnis der Arbeitsweise der Vereinten Nationen, die sich den Schutz der Menschenrechte auf die Fahnen geschrieben hat, ein wichtiger Baustein in der akademischen Bildung junger Menschen.“
Eine besondere Anerkennung war es auch, dass Till Staschko (23) als „Chair“, einen Komitee-Vorsitz, ausgewählt wurde. Für diese Position musste er sich im Vorfeld beim Casting der NMUN Organisatoren durchsetzen. Seine Chancen standen gut, denn Till hatte bereits zweimal erfolgreich an NMUN teilgenommen. „Weil ich politisch interessiert bin und es grundsätzlich spannend finde, die Perspektiven anderer Länder einzunehmen.“ Als Chemiker ist er unter den vielen Jura- und Politikstudierenden eher ein Exot. „Aber es ist bisweilen sogar ein großer Vorteil aus einem anderen fachlichen Bereich zu kommen“, meint Staschko. Und natürlich könne man bei so einer internationalen Veranstaltung sehr viel lernen, egal was man studiere.
„Für die US-amerikanischen Universitäten haben diese Veranstaltungen einen ganz anderen Stellenwert“, erklärt Pursch. „Es wird eher gesehen wie ein sportlicher Wettkampf, bei dem man sich mit Erfolgen enorm profilieren kann.“ Entsprechend ehrgeizig würden die Delegationen der US Universitäten auch agieren. „Da werden richtige Taktiken erarbeitet“, erzählt der 23-jährige Sören Krombach (Sozialwissenschaften), der schon zum zweiten Mal bei NMUN dabei war und als Head Delegate, also innerhalb der Siegener Delegation als Mentor für die Studierenden, agieren durfte. Ebenso wie Yvette Lema Dinga. Die Kamerunerin studiert Economic Policy an der Uni Siegen und musste in New York geradezu einen Diskussions-Marathon bestehen. Sie vertrat Eritrea sowohl zum Thema biologische Vielfalt als auch zu Fragen der Umweltverträglichkeit in der Textilindustrie. „Ich dachte zuerst, dass es mir sehr schwerfallen würde in so einem großen und wichtigen Rahmen frei zu reden und zu argumentieren“, meint sie nachdenklich. „Aber es ging sehr gut.“
Zum einen, weil sich die Gruppe gemeinsam mit Gerrit Pursch monatelang auf die Auftritte vorbereitet hatte. Zum anderen aber auch, weil die Siegener Delegation als Vertreter Eritreas weit weniger kontrovers angegangen wurde als befürchtet. „Wir haben uns auf alle Szenarien vorbereitet“, sagt Pursch. Natürlich sei es schwierig in die Rolle der Delegierten eines diktatorischen Staates zu schlüpfen, aber man bewahre die gebotene kritische Distanz. „Wir haben uns in der Vorbereitung auch nicht, so wie sonst oft üblich, mit offiziellen Landesvertretern getroffen, weil wir uns in keiner Weise vereinnahmen lassen wollten“, betont Pursch.
Die Tage in New York waren für die Studierenden lang, die Konferenz eng getaktet. Die Sitzungen gingen oft bis spät abends. In der Freizeit noch ein bisschen New York erleben – dafür hatte kaum jemand Kraft. Manche blieben nach der Konferenz noch etwas da. Schließlich tragen die Teilnehmer*innen die Hälfte der Reisekosten selber. „Wer sich bei diesem Wettbewerb einbringt, ist hoch motiviert“, weiß Pursch. Und das, obwohl nicht in allen Studiengängen die Leistungen im Studium angerechnet werden können.
Aber macht sich denn die Teilnahme gut im Lebenslauf? Yvette, Sören, Till und David zucken mit den Schultern. Das sei kein Grund, um bei NMUN mitzumachen. Es sei vielmehr die Chance so viele andere Studierende aus aller Welt zu treffen, sich auszutauschen, in globalen Debatten zu üben, Selbstbewusstsein zu tanken und ein anderes Verständnis für politische Verhandlungen zu bekommen. Und trotz teils hitziger Diskussionen – am Ende eines langen UN-Tages, legen die Studierenden ihre Rollen ab, reden, lachen und feiern gemeinsam. „Es entstehen echte Freundschaften“, versichert Till Staschko.
Wer sich für das gesamtuniversitäre Model United Nations (MUN) Programm interessiert, kann jederzeit bei den ganzjährigen verschiedenen Aktivitäten mitwirken. Insbesondere von 20. bis 23. November 2024, wenn sich die universitätseigene UN-Simulation (SiegMUN) für Schüler*innen und Studierende bereits zum 15ten Mal an der Uni Siegen jährt.
Weitere Infos: www.mun-siegen.de
Die Delegation der Uni Siegen war bei der Simulationskonferenz der Vereinten Nationen in New York sehr erfolgreich. Die Studierenden, die in diesem Jahr das Land Eritrea vertraten, wurden mehrfach ausgezeichnet.