Brauchen Demokratien Verfassungsgerichte oder: wie viel Recht verträgt die Politik?
Am 21.11.2024 diskutieren Uwe Volkmann (Universität Frankfurt) und Veith Selk (Universität Wien) Philip Manows Buch "Unter Beobachtung - Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde“. Der Politikwissenschaftler ist seit April dieses Jahres als Professor für Internationale Politische Ökonomie an der Universität Siegen tätig.
Benötigen Demokratien Verfassungsgerichte, oder stellt die zunehmende ‚Konstitutionalisierung der Demokratie‘ auch eine Gefahr dar? Diese Frage steht im Zentrum des neuen Buches von Prof. Dr. Philip Manow „Unter Beobachtung – Die Bestimmung der liberalen Demokratie und ihrer Freunde“. In seinem Werk kritisiert Manow eine zunehmende ‚Verfassungsverrechtlichung‘ der Demokratie seit dem Wendepunkt 1989/90 und stellt die Rolle der Verfassungsgerichte sowie supranationaler Rechtsordnungen infrage.
Am 21. November wird der Politikwissenschaftler seine Thesen im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung in Siegen vorstellen und mit Fachkollegen sowie dem Publikum diskutieren.
Die Veranstaltung wird moderiert vom Frankfurter Philosophen Dr. Philipp Schink. Zu den Diskutanten zählen Dr. Veith Selk, ebenfalls Politikwissenschaftler, sowie Prof. Dr. Uwe Volkmann, Rechtswissenschaftler und Rechtsphilosoph. Die Podiumsdiskussion verspricht, tiefe Einblicke in die komplexen Beziehungen zwischen Recht und Demokratie zu geben.
Die von Manow kritisierte Konstitutionalisierung der Demokratie beschreibt den Prozess, bei dem demokratisch gewählte Parlamente durch Verfassungsgerichte immer häufiger in ihren Entscheidungen eingeschränkt werden, etwa indem parlamentarische getroffene Entscheidung von Verfassungsgerichten wieder kassiert werden. Eine solche Tendenz stelle eine Gefahr für die politische Souveränität dar, da Gesetze und politische Entscheidungen zunehmend von juristischen Instanzen überprüft und oft aufgehoben werden.
Ein weiterer Aspekt, den Manow kritisch beleuchtet, ist die Rolle supranationaler Rechtsordnungen, wie etwa der Europäischen Union, und insbesondere des Europäischen Gerichtshofs. Diese Instanzen, so Manow, verschärfen die Problematik, indem sie parlamentarische Entscheidungen durch internationale Rechtsprechung ersetzen. „Recht“, so der Politikwissenschaftler, „‘programmiert‘ zunehmend Politik – und nicht mehr umgekehrt.“ Infolgedessen verliere die „elektorale Demokratie“ an Bedeutung, während die „liberale Demokratie“, die sich stärker auf verfassungsrechtliche Prinzipien stützt, an Einfluss gewinne.
Eine Reaktion auf diese Entwicklung sei das Erstarken des Populismus. Wenn die politischen Entscheidungen der Bevölkerung zunehmend von Gerichten oder internationalen Institutionen vorweggenommen werden, fühle sich die Wählerschaft von der Politik entfremdet. Die (provokante) These lautet zugespitzt: Die liberale Demokratie schafft sich erst ihre Feinde. Oder: Der Populismus ist nicht der Gegner, sondern das Gespenst der liberalen Demokratie.
Die Diskussion über Manows Buch wurde in den letzten Monaten breit geführt und wird durch zahlreiche Anschlussgespräche, etwa mit der Autorin und Verfassungsrichterin Juli Zeh, weiter angestoßen.
Philip Manow ist seit April 2024 Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt auf Internationale Politische Ökonomie an der Universität Siegen und forscht im Rahmen des Sonderforschungsbereiches „Transformationen des Populären“ zur Rolle von Umfragen auf heutige Demokratien und die Auswirkungen der Ermittlungen politischer Popularitätswerte auf den politischen Prozess.
Zuvor war er Professor an der Universität Bremen und ist Mitglied der Sozialwissenschaftlichen Klasse der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Seine Bücher gelten als wichtige Beiträge zur Populismus-Forschung. Auch die breite Rezeption seines neuen Buches zeigt, dass das Thema in der politischen und akademischen Diskussion auf reges Interesse stößt.
Vortrag
21. November 2024
18:00 – 20:00 Uhr
Studienservice Center (Raum F-S 002)
Sandstraße 16–18, 57072 Siegen
Ansprechpartner
Prof. Dr. Philip Manow
E-Mail: philip.manow@uni-siegen.de
Tel. 0271 740-4772