Vierter Engagementbericht der Bundesregierung veröffentlicht
Das Bundeskabinett hat den Vierten Engagementbericht der Bundesregierung verabschiedet. Prof. Dr. Chantal Munsch von der Universität Siegen leitete die Sachverständigenkommission, die den Bericht ausgearbeitet hat.
Freiwilliges Engagement bietet die Möglichkeit, viele Bereiche der Gesellschaft aktiv mitzugestalten – ob im Sport, in der Kultur, in der Politik oder im sozialen Bereich. Gleiche Zugangschancen zum Engagement sind daher von großem gesellschaftlichem Wert. Sie ermöglichen allen sozialen Gruppen, sich gleichermaßen zu beteiligen. Das Bundeskabinett hat jetzt den Vierten Engagementbericht der Bundesregierung verabschiedet. Die unabhängige Sachverständigenkommission legte in dem Bericht besonderes Augenmerk auf ungleiche Zugangschancen zum freiwilligen Engagement in Deutschland. Geleitet wurde die Kommission von der Sozialpädagogin Prof. Dr. Chantal Munsch von der Universität Siegen.
Bundesministerin Lisa Paus: „Die deutsche Engagementlandschaft ist lebendig und vielfältig, und sie bewirkt unglaublich viel Gutes. Der Vierte Engagementbericht zeigt aber auch: Freiwilliges Engagement muss inklusiver werden! Wir brauchen einfache Zugangsmöglichkeiten zum Engagement und für gesellschaftliche Beteiligung. Politik und Zivilgesellschaft können dazu beitragen, dass wirklich alle, die sich engagieren wollen die Möglichkeit dafür bekommen.“
Alle Informationen zum Vierten Engagementbericht finden Sie auf der Website der Geschäftsstelle.
Laut der jüngsten Erhebung des Freiwilligensurveys – der wichtigsten statistischen Untersuchung zum Engagement – sind in Deutschland 39,7% der Wohnbevölkerung ab 14 Jahren freiwillig engagiert, das entspricht etwa 28,8 Mio. Menschen. Unter freiwilligem Engagement werden dabei alle Tätigkeiten verstanden, die freiwillig, unentgeltlich, öffentlich, zum Wohle eines Gemeinwesens und gemeinschaftlich mit anderen ausgeübt werden. Dazu gehören nach dem Verständnis der Sachverständigenorganisation auch Aktionen in Nachbarschaften oder spontane Initiativen.
„Der Bericht zeigt, dass Personen mit niedrigen Einkommen, niedrigen Bildungsabschlüssen und Migrationshintergrund im Engagement deutlich unterrepräsentiert sind. Individuelle Präferenzen allein können diese Unterschiede nicht erklären, deswegen stellt sich auch die Frage nach der Chancengleichheit“, sagt Prof. Munsch. Ungleiche Zugänge zum Engagement könnten soziale Ungleichheit sogar noch verstärken: „Wenn bestimmte gesellschaftliche Gruppen weniger engagiert sind, entgehen ihnen auch die Vorteile, die mit Engagement verbunden sind. Dazu zählen auch Möglichkeiten, sich persönlich weiterzuentwickeln und wertvolle Netzwerke aufzubauen. Dies zeigt sich auch bei den besseren Erwerbsaussichten von Engagierten.“
Es sei daher von allgemeinem Interesse, zu verstehen, warum manche Gruppen weniger am freiwilligen Engagement beteiligt sind, obwohl sie sich – wie die Zahlen zeigen – gerne engagieren möchten. Genau hier setzt der Vierte Engagementbericht an. Er untersucht die Schwellen, die den Zugang zum Engagement für weniger privilegierte Gruppen erschweren oder verhindern. So müssen Engagierte beispielsweise Schwellen überwinden, wenn sie eine neue Aufgabe oder Position übernehmen oder in einer Diskussion ein Argument vertreten wollen – aber nicht alle Engagierten nehmen diese Schwellen gleichermaßen wahr. Für weniger privilegierte Engagierte ist ihre Überwindung laut dem Bericht mit einem wesentlich höheren Aufwand verbunden.
Manche Schwellen, die den Zugang zu Engagement erschweren, können leichter abgebaut werden, während andere nur schwer zu beseitigen sind, erklärt Munsch: „Engagement ist oft mit finanziellen Kosten verbunden, etwa für die Anfahrt oder für Geselligkeit, wie das gemeinsame Getränk – dies grenzt Menschen mit wenig Geld aus.“ Die Art und Weise, in einer Organisation zu sprechen, sei zudem für manche Menschen ungewohnt. Nicht alle Engagierten könnten so frei über ihre Zeit verfügen, dass sie flexibel an Terminen teilnehmen können. Der Zugang zu Engagement erfolge in erster Linie über Ansprache – jedoch würden manche Engagement-Interessierte weniger angesprochen, weil sie zu einer sozialen Gruppe gehören, die nicht dem Bild der ‚typischen Engagierten‘“ entspreche. Bürokratie, die notwendig ist, um rechtsstaatlichen Standards einzuhalten, sei mit einem hohen Zeitaufwand verbunden und setze bestimmte Kenntnisse voraus. Obwohl diese Schwellen zum Engagement oft unbeabsichtigt entstehen, führen sie laut dem Bericht zum Ausschluss von weniger privilegierten Menschen.
Für die Bundes- und Landespolitik identifiziert der Engagementbericht wichtige Ansatzpunkte, um Zugangschancen gleicher zu gestalten. Dies betrifft etwa die Förderung von Kinder- und Jugendarbeit, damit Kinder und Jugendliche unabhängig vom Elternhaus Erfahrungen mit Partizipation sammeln können. Notwendig ist demnach ebenso die Anerkennung und Unterstützung von neuen Organisationen von weniger privilegierten sozialen Gruppen. Sie stärken Engagierte, damit sie ihre Anliegen öffentlich vertreten können. Wesentlich ist schließlich auch der Schutz von Engagierten vor zunehmender Gewalt und Bedrohung. Letztlich macht der Bericht deutlich, wie Schwellen im Engagement mit sozialer Ungleichheit zusammenhängen, auf die verschiedene politische Ressorts (Sozialpolitik, Bildungspolitik, Steuerpolitik) Einfluss haben.
Auch Organisationen, die sich in einer heterogenen Gesellschaft zukunftsfähig aufzustellen wollen, finden im Bericht hilfreiche Anregungen. Die Analyse der verschiedenen Schwellen unterstützt sie dabei, diese in ihrer eigenen Organisation und Praxis besser wahrzunehmen und zu minimieren. Der Vierte Engagementbericht stützt sich in seiner Argumentation nicht nur auf den nationalen und internationalen Forschungsstand, sondern auch auf Anhörungen mit Gästen aus der Zivilgesellschaft, ein Rechtsgutachten sowie drei eigene empirische Studien.
Hintergrund
Der Deutsche Bundestag hat am 19. März 2009 beschlossen, dass die Bundesregierung in jeder Legislaturperiode einen wissenschaftlichen Bericht von einer neu zusammengesetzten, unabhängigen Sachverständigenkommission vorlegen muss. Diese Berichte sollen eine nachhaltige Engagementpolitik unterstützen und Handlungsempfehlungen geben. Die bisherigen Engagementberichte beschäftigten sich mit der Kultur der Mitverantwortung im öffentlichen Raum (2012), dem Beitrag des Engagements zur lokalen Entwicklung (2017) sowie den Entwicklungen des (jungen) Engagements in einer digitalen Gesellschaft (2020). Der Vierte Engagementbericht untersucht nun ein spezifisches Problem: Die ungleiche Beteiligung am Engagement.
Kontakt:
Dr. Andreas Kewes (Geschäftsstelle für den Vierten Engagementbericht der Bundesregierung)
Tel: 0271 / 740-3944
E-Mail: vierter.engagementbericht@uni-siegen.de