Unerhört heutig
Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen feiert sein 30-Jähriges mit einem inspirierenden Konzert. Das Saxophonquartett Kebyart begeistert mit Musik auch von Prof. Martin Herchenröder.
Was eigentlich schenkt man zu einem 30. Geburtstag? Vielleicht am besten das: die Gelegenheit, die Welt unbedingt anders, neu zu entdecken, einen Moment, in dem sich Erfahrung und Erkenntnis verbünden und das Unerwartete möglich wird. Das Studio für Neue Musik der Universität Siegen bescherte sich und seine Gäste zum Dreißigsten mit einem inspirierenden Konzert. Geboten wurde ein Klang-Erlebnis, unerhört heutig, ganz gleich, ob die Musik im 17., 19. oder 20. Jahrhundert geschrieben wurde oder gerade erst, in der Gegenwart, komponiert. Das Saxophonquartett Kebyart spielte im Apollo-Theater ein Programm, das einen epochalen Bogen schlug: von Henry Purcell (1859-1695) über Clara Schumann (1819-1896) und William Albright (1944-1998) bis zu Zeitgenossen wie Mikel Urquiza (*1988), Jörg Widmann (*1973) und eben auch Martin Herchenröder (*1961), dessen Werk „Fuego“ uraufgeführt wurde.
„Fuego“ steht im Spanischen für Feuer. In seiner für Kebyart geschriebenen Fantasie malt Herchenröder Bilder des Glimmens, Züngelns, Loderns, Knisterns, von wohliger Wärme und gefährlich heißer Glut, von Glück und Gefahr, der verzehrenden und auch transformierenden Kraft des Feuers, das er durchaus als Metapher für große Liebe und Leidenschaft verstanden wissen will, „als Spiegel unseres Innenlebens“. Wer Martin Herchenröder begegnet, kommt kaum umhin, sich anstecken zu lassen von seiner Freude am künstlerischen Tun, das selten Selbstzweck ist, sondern immer andere einlädt, einbindet, mitzunehmen versucht. Ein wenig schien es, als hätte der Gründer und Leiter des Studios für Neue Musik, der so sehr für seine Sache brennt, beim Festkonzert ans Lagerfeuer geladen – Weggefährtinnen und Weggefährten, Freundinnen und Freunde und Zaungäste auch. Jetzt war die Zeit, dankbar zu genießen, wachen Auges zu staunen, sich überraschen zu lassen.
Etwa mit der feinen Auswahl aus Purcells „Fantasias in Four Parts“, für Viola da Gamba komponiert, von vier Saxophonisten aufgeführt. Pere Méndez (Sopransaxophon), Victor Serra (Altsaxophon), Robert Seara (Tenorsaxophon) und Daniel Miguel (Baritonsaxophon) scheinen den Klang aus einem unsichtbaren Irgendwo aufzufangen. Sie schaffen mit ihrer Spielweise des behutsamen Nehmens und Gebens einen Raum im Raum, gestalten diese Musik mit enormer Intensität. Es entsteht eine emotionale Dichte, fast mit Händen zu greifen. Bei Kebyart ist das Publikum gut aufgehoben, komme, was wolle. Und es kommt etwas: zum Beispiel die körperlich spürbaren Schwingungen im dritten Teil von Urquizas „Les perfectibilités – traité d’ornement“; oder die „4 Pièces fugitives Op. 15“ der Pianistin Clara Schumann, von Kebyart für Kebyart arrangiert, mit diesem wunderschönen Andante espressivo; oder die unterhaltsam-kunstvollen „Fantasy Etudes“ von William Albright, auch mit der Illusion eines Dudelsacks. Das Ensemble fasziniert mit einer Fülle an musikalischen Farben.
Zum Konzertfinale gab es Widmanns „7 Capricci“, ein Werk, das in sieben kleinen Kapiteln vorwiegend zuversichtlich eine Welt auffächert – am Ende mit einer „Zirkusparade“, die Partylaune macht und damit perfekt in den späteren Abend geleitete. Es sollte gefeiert werden: bei Tapas und Getränken, launigen Reden und natürlich Musik. Das aber erst nach einem herrlich zart zugegebenen „Summertime“.
Vor dem Auftritt von Kebyart dankte Studio-„Motor“ Herchenröder allen, die über drei Jahrzehnte die Neue Musik in Siegen ermöglicht hätten. Besonders würdigte er den engagierten Beitrag seines Kollegen Daniel Hees, der in den 30 Jahren all die Konzertplakate geschaffen habe. Zwei Bücher sind daraus bereits entstanden; eine Ausstellung läuft bis zum 2. März 2025 in der Hauptbibliothek der Universität.
Siegens Bürgermeister Steffen Mues würdigte die „kreative Kraft“ Herchenröders. Auf sein bilanzierendes „Lieber Martin, das ist ein Lebenswerk!“ hin gab es Jubelrufe und großen Applaus. Auch Landrat Andreas Müller hob das Vermögen des Universitätsprofessors hervor, programmatische Konzepte „für alle und mit allen“ zu entwickeln. In Vertretung von Hochschulrektorin Prof. Dr. Stefanie Reese zeichnete Prof. Dr. Volker Stein die wesentlichen Charakterzüge des am 6. Februar 1995 gegründeten Studios für Neue Musik nach. Die Universität Siegen, so das Rektorat, sei stolz auf dieses Juwel. (Autorin: Claudia Irle-Utsch)
Beim Jubiläumskonzert spielte das Saxophonquartett Kebyart.