Einblicke in den Knast
Erstes Spiegel-Gespräch an der Uni Siegen mit Joe Bausch, Michael Skirl und Redakteurin Barbara Schmid sorgte für ein volles Audimax.
In die Abgründe der menschlichen Seele blicken – Krimis leben von diesem Sujet. Einer, der beide Facetten kennt –, das richtige Knastleben, die Insassen, ihre Taten und Persönlichkeiten und das, was Medien daraus machen, ist Joe Bausch. Der gebürtige Westerwälder arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Regierungsmedizinaldirektor in der Justizvollzugsanstalt Werl. Zudem dreht er „im Urlaub“ für den WDR Tatort in Köln, gibt dort an der Seite von Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dieter Bär) den Dr. Joseph Roth. In Werl schiebt der Arzt, der am 19. April 60 Jahre alt wird, durchaus auch Überstunden. „Alles machbar“ lautet sein Fazit im Vorgespräch an der Universität Siegen. Dort war er gemeinsam mit seinem Chef, Michael Skirl, zu Gast beim Spiegel-Gespräch. Der 62-jährige Skirl leitet die Justizvollzugsanstalt Werl seit 1999. Dort hat er es überwiegend mit richtig „schweren“ Jungs zu tun. Von den rund 800 Insassen der JVA sind 103 „Lebenslängliche“ und 47 Sicherheitsverwahrte. Skirl und Bausch diskutierten im Audimax unter Leitung von Spiegel-Redakteurin Barbara Schmid zum Thema „Werden Verbrecher geboren – oder ist die Gesellschaft schuld?“ Grußworte sprach vorab Rektor Prof. Dr. Holger Burckhart.
Dass die Thematik und die Gäste faszinierend waren, spiegelte sich im vollen Audimax wider. Die Resonanz war überwältigend. Mehr als 500 Gäste verfolgten die Diskussion. Dabei wurde deutlich, dass das Themenfeld sehr komplex ist, es keine eindeutige Antwort auf die Leitfrage gibt. Vieles liegt im Graubereich zwischen Schwarz und Weiß, vieles ist noch nicht wirklich erforscht. Wie und warum Menschen zu Schwer- und Schwerstverbrechern werden, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Menschen sind sowohl von ihren Anlagen, ihren Charakteren, als auch von ihrer Sozialisation grundverschieden. Häufig, so Bausch, gebe es bereits bei Kindern über Jahre hinweg Auffälligkeiten, die aber nicht immer weiterverfolgt würden. Hirnscans gäben Hinweise darauf, dass Vernachlässigung in ganz jungen Jahren zu Defiziten in Hirnbereichen führen könnten, die beispielsweise für Empathie zuständig seien. Die Forschungsbasis sei aber noch nicht valide. Bausch: „Wenn die Hardware geschädigt ist, kann auch die Software nicht problemlos rundlaufen.“ Pauschalanalysen gebe es allerdings nicht. Denn auch Sprösslinge aus gutem Hause könnten auf die schiefe Bahn geraten. In einem war sich Bausch sicher: „Es trifft nicht zu, dass jeder zum Mörder werden kann.“
Mörder können durchaus intelligent sein. Skirl: „Manche sind so lange bei uns, dass sie selbst den Therapeuten etwas vormachen können.“ Sie spielten mit den Therapeuten Katz und Maus. Es gebe Persönlichkeitsstörungen, die nur schwer zu therapieren seien. Bausch: „Therapien gehen schon ans Eingemachte.“ Die Hoffnung auf Erfolg bleibe. Skirl: „Es kann aber nicht bei allen funktionieren.“ Auch bei Entlassungen in die Freiheit gebe es nie eine 100-prozentige Sicherheit, da immer Menschen die Entscheidungen träfen.
Eine Tendenz zeichnet sich ab – Sicherheitsverwahrte werden jünger. In ihrer Kindheit und Jungend seien viele ständig weggelaufen – aus der Schule, von daheim. Skirl: „Im Knast können sie das erstmals nicht mehr.“ Das wecke Hoffnung, sie zu erreichen. Noch ein Trend zeichnet sich ab: Die Frauen holen bei den schweren Delikten anteilsmäßig auf. Skirl: „Die Emanzipation schreitet auch hier voran.“