Virtuelle Partner reizen Weibchen zum Spannen
Biologen und Informatiker der Universität Siegen lassen echte Breitflossenkärpflinge mit virtuellen Artgenossen interagieren, um deren Verhaltensmuster zu identifizieren.
Ist der Mann vor meiner Nase echt oder virtuell? Das Breitflossenkärpfling-Weibchen im großen Aquarium der Biologie am Campus Adolf-Reichwein-Straße der Universität Siegen scheint sich diese Frage nicht zu stellen. Der Blick auf den Monitor am seitlichen Kopf des Aquariums zeigt deutlich einen möglichen Partner. Die große, schwarz-gebänderte Rückenflosse sowie die zart-orange durchwirkte Schwanzflosse sprechen aus Sicht des Weibchens eine eindeutige Sprache. Der menschliche Betrachter mag schmunzeln. Weiß er doch, dass auf den Bildschirm die perfekte Kopie eines Breitflossenkärpflings projiziert ist. Prof. Dr. Klaudia Witte, Biologie-Doktorandin Stefanie Gierszewski und ihr Informatik-Kollege Klaus Müller können das virtuelle Männchen nach Belieben über einen Playstation-Controller dirigieren. Rückenflosse aufstellen, nach rechts oder links schwimmen, der Fisch folgt jedem Befehl – optimale Voraussetzungen für Verhaltensforschung.
Dass dem so ist, ist Ergebnis einer interdisziplinären Kooperation zwischen Experten für Echtzeit Lernsysteme (Prof. Dr.-Ing. Klaus-Dieter Kuhnert) und Verhaltensbiologen der Universität Siegen. 2012 bewilligte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 420.000 Euro für dieses Projekt mit dem Titel „Analyse durch Synthese mit virtuellen Fischen als neue Versuchsmethode in Untersuchungen zur Partnerwahl“. Professorin Witte: „Wir wollen herausfinden, welche Informationen Weibchen gewinnen, wenn sie anderen Weibchen bei der Partnerwahl zuschauen.“ Kopieren ist in der Tierwelt weit verbreitet. Die Biologen der Uni Siegen interessiert jedoch, welche Informationen ein Weibchen erhalten muss, um beispielsweise von der vormals präferierten Partnerwahl abzuweichen. Generell gilt: wahlunerfahrenen Weibchen kann das Nachahmen Vorteile bringen. Balzende Fische ziehen Räuber an. Nahe Weibchen geraten mit in Gefahr. Wer aus Entfernung zuschaut und so Erfahrung sammelt, ist sicherer. Um dieses Kopieren von Verhalten besser studieren zu können, experimentieren die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im „virtuellen Labor“.
Dass Fische virtuelle Artgenossen und deren Aktionen wahrnehmen, haben Versuche bereits bewiesen. Werden einem Breitflossenkärpfling-Weibchen virtuelle Männchen auf LCD-Bildschirm oder alten CRT-Monitoren präsentiert, bevorzugt das Weibchen die LCD-Version. Besteht die Auswahl zwischen einem echten Fisch und einem virtuellen auf LCD-Monitor, gibt das Weibchen dem Fisch aus Fleisch und Blut den Vorzug. Werden auf einem Monitor ein leeres Aquarium, auf dem anderen ein virtuelles Männchen in 3D-Version gezeigt, gilt die Vorliebe dem virtuellen 3D-Männchen. Ein virtuelles 3D-Männchen der eigenen Art ist für ein Weibchen attraktiver als ein Video mit Männchen einer anderen Art.
Virtuelle Partner werden von Breitflossenkärpfling-Weibchen demnach optisch akzeptiert. Das liegt vor allem an der guten Qualität der Animation. Klaus Müller: „Die Faszination des Projekts besteht aus Sicht der Informatik darin, dass wir über ein Bildverarbeitungssystem die Bewegungen des echten Fisches analysieren und somit das virtuelle Modell mit dem echten Fisch interagieren lassen können.“ An dieser Ziel-Lösung arbeiten die Beteiligten derzeit. Sie ist greifbar nahe. Zwei Kameras zeichnen die Bewegungen des Weibchens in bestimmten Situationen auf. Mithilfe dieser Daten wird der virtuelle Fisch derart programmiert, dass er künftig autonom auf das Verhalten des echten Weibchens reagieren kann. Klaus Müller: „Wir stellen gerade auf die Version des autonomen Fischmodells um.“ Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind guter Dinge, mit diesem Griff in die Animationskiste das Kopierverhalten der Breitflossenkärpflinge zu verstehen.
Um ihre bisherigen Erfahrungen und Tipps und Tricks zur Nutzung von Animationen in der Verhaltensforschung zu teilen und auszutauschen, treffen die Forscher im August, bei einem eigens organisierten Symposium im Zuge der 34th International Ethological Conference 2015 in Cairns, Australien, mit anderen "Artgenossen" zusammen.
Foto: Klaus Müller, Prof. Dr. Klaudia Witte, Stefanie Gierszewski.
Text und Foto: Katja Knoche