Wohlstand als notwendige Bedingung zum Glück
Wirtschaftspolitische Gespräche der Uni Siegen beleuchteten Zusammenhang zwischen Wohlstand und Glück.
Darauf haben sich die Teilnehmer der Wirtschaftspolitischen Gespräche früh einigen können: Ja, mit zunehmendem Wohlstand nimmt auch das Glück zu. Ein gewisses Maß an Wohlstand und materieller Absicherung sei nötig, um glücklich zu sein. Nahrung, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und gesellschaftliche Teilhabe seien essentiell, so der Konsens am Freitagabend im ForschungsKolleg der Universität Siegen (FoKoS). Gemeinsam mit dem Zentrum für ökonomische Bildung (ZöBiS) hatte das FoKoS Experten zum Thema „Macht und Wohlstand glücklich?“ eingeladen. Auf dem Podium herrschte auch Einigkeit darüber, dass ab einem gewissen Punkt Schluss sei mit der positiven Beziehung zwischen Wohlstand und Glück. Dann führe ein Mehr an monatlichem Nettoeinkommen nicht mehr zwangsläufig zu einem Mehr an Zufriedenheit und Glück. Gesprächsbedarf gab es hingegen bei den begrifflichen Feinheiten: Was verstehen wir überhaupt unter Wohlstand? Was ist Glück? Und: Gibt es eigentlich so etwas wie einen Anspruch darauf, glücklich zu sein?
BIP kein ausreichender Indikator für Glück
Karl-Josef Koch, VWL-Professor an der Universität Siegen, bemerkte, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Wohlstandsindikator nicht unbedingt ausreichend sei. Das BIP messe jedoch etwas, das zentrale Bedeutung für eine Volkswirtschaft habe – das Volumen aller erbrachten wirtschaftlichen Leistungen – und sei ein ausgereifter Indikator. Daneben gebe es aber weitere Wohlstandskonzepte, wie etwa den Human Development Index, die nicht nur einen Indikator für Wohlstand erfassen, sondern mehrere bündeln, wie etwa das Niveau der Gesundheitsfürsorge oder der Bildung. Man müsse auch immer danach fragen, welche (politischen) Ziele mit gewissen Wohlstandskonzepten verfolgt würden. Auf die Frage von Moderator Lars Vogel, Geschäftsführer der Ludwig-Erhard-Stiftung, ob denn die Politik ihre Ziele beispielsweise an der Verbesserung des nationalen Rankings beim Human Development Index ausrichte, antwortete der einzige Politiker der Runde, Matthias Heider, MdB für die CDU, nur ausweichend: Derartige Indikatoren dienten eher „der Orientierung“. Der Politiker gab aber zurecht zu bedenken, dass die Auskunft über den „Wohlstand“ einer Gesellschaft anhand des BIP mit Vorsicht zu genießen sei: So entstünden beispielsweise durch die Beseitigung schwerer Umweltkatastrophen „Wachstumsgewinne“, die sich auf das BIP auswirken. Detlef Fetchenhauer, Professor für Wirtschafts- und Sozialpsychologie in Köln, wies gleichwohl darauf hin, dass das BIP zuverlässig mit einer Reihe weiterer, regelmäßig als erstrebenswert angesehener Merkmale einer Gesellschaft positiv korreliere: Reichere Länder, also solche mit einem relativ hohen BIP, wiesen auch einen höheren Bildungsgrad, eine bessere Gesundheitsversorgung und allgemein mehr Gleichheit auf als solche mit einem relativ niedrigen BIP.
Glück ist kein Dauerzustand
Fetchenhauer bemerkte gleichzeitig, dass am BIP festgemachter Wohlstand lediglich eine günstige Rahmenbedingung für individuelles Glück sei. Das Glück zu messen, sei ohnehin ein komplexes Unterfangen. So komme es bereits auf die Art der Fragestellung an: Danach gefragt, ob sie in der Retrospektive zufrieden mit ihrem Leben seien, würden wohlhabende Menschen dies häufiger bejahen als Menschen, die nur über geringen materiellen Wohlstand verfügten. Würde hingegen danach gefragt, ob man sich momentan glücklich fühle, gebe es keinen so starken Zusammenhang mehr zwischen individuellem Glück und individuellem Wohlstand. Dazu passe die These Siegmund Freuds, dass Glück immer nur eine Sache von Sekunden sei. Und eben kein Dauerzustand. Das individuelle Streben nach Glück als gesellschaftlichen Imperativ insbesondere in reichen westlichen Gesellschaften erkannte nicht nur Fetchenhauer, sondern auch Sebastian Schoepp, Redakteur der Süddeutschen Zeitung. Er sah in der zwanghaften Glückssuche ein relativ neues Phänomen jüngerer Generationen besonders reicher Gesellschaften. In diesen sei Glück mittlerweile „Teil des Leistungskataloges“ und viele würden an der Erfüllung und dem Druck, unbedingt glücklich zu sein, scheitern. Frühere Generationen hätten einen „Glücksanspruch“ nicht wie heute formuliert. In anderen Kulturkreisen und Gesellschaften sei ferner zwar auch die Mehrung des Wohlstands eine Prämisse menschlicher Motive, gleichzeitig werde Glück dort nicht unbedingt als individuelles Pflichtprogramm verstanden, sondern generiere sich stärker aus Werten wie Gemeinschaft und Familie.
Gelassenheit statt konstruierter Unzufriedenheit
Fetchenhauer plädierte sogleich für mehr Gelassenheit. Man könne lernen, einen Ausgleich zwischen Ambitionen, Ehrgeiz und Gelassenheit hinzubekommen. Selbstachtsamkeit und Bescheidenheit seien Hilfen. Man müsse anerkennen, dass nicht alles erreicht und selbst in objektiv privilegierten Lebenssituationen jederzeit Mängel und Unzufriedenheiten „konstruiert“ werden könnten. Dies sei zutiefst menschlich. Denn Gelassenheit sei den Menschen nicht evolutionär in die Wiege gelegt. Alle Diskutanten sprachen sich dafür aus, die Wohlstands- und Wachstumsbestrebungen ärmerer Gesellschaften auf ihrem Weg zum „Glück“ anzuerkennen und zu respektieren. In den einleitenden Worten zur Diskussion hatte Carsten Hefeker, Direktor des FoKoS, die aktuellen Migrationsbewegungen in Europa in den thematischen Kontext gestellt: Heute sind viele Menschen auf der Flucht und damit auch auf der Suche nach mehr Wohlstand und individuellem Glück. Sind Grenzüberschreitungen unter diesen Motiven illegitim? Hefeker erinnerte daran, dass rund 50 Millionen Amerikaner deutsche Wurzeln haben und die nach Amerika emigrierten Deutschen wohl selbst einmal „Wohlstandflüchtlinge“ waren. Matthias Heider plädierte in diesem Zusammenhang für eine gemeinsame europäische Lösung, die ein gemeinsames Glück bedeuten könnte. Detlef Fetchenhauer bemerkte, der hohe Wohlstand westlicher Gesellschaften sei auch eine Handlungsoption. Man könne im Gegensatz zu armen Ländern darüber entscheiden, was man mit dem Wohlstand mache. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise sagte er: Weil wir so reich sind, können wir diese Menschen aufnehmen. Griechenland, Serbien und Slowenien könnten dies nicht.
Text: David Knollmann | Bild: Abdullah Attak