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Hunderte kamen zu Wagenknecht

Die Linken-Politikerin Dr. Sahra Wagenknecht war Gast des „Franz-Böhm-Kollegs“ der Universität Siegen. Im vollbesetzten Leonhard-Gläser-Saal der Siegerlandhalle sprach sie über „Soziale Marktwirtschaft im digitalen Zeitalter“.

Jung und Alt, Studierende und Unternehmer, links orientiert und konservativ – das Publikum des 19. „Franz-Böhm-Kollegs“ der Universität Siegen war extrem gemischt. Und es war groß: Mehr als 700 Menschen kamen in den Leonhard-Gläser Saal der Siegerlandhalle, um die Bundestagsabgeordnete und Linken-Fraktionschefin Dr. Sahra Wagenknecht zu erleben. Dass Wagenknecht ebenso fasziniert, wie polarisiert, habe er schon im Vorfeld der Veranstaltung erfahren, berichtete Gastgeber Prof. Dr. DCom. Bodo Gemper zum Auftakt: „Noch nie habe ich vorher so viele Anrufe, Briefe und E-Mails zu einem Gast bekommen.“ Eingeladen habe er die promovierte Volkswirtin aber in erster Linie aufgrund ihrer wirtschaftspolitischen Kompetenz. „Viele Bürger interessieren sich für Ihre Antworten“, schloss sich Uni-Kanzler Ulf Richter in seiner Begrüßung Wagenknechts an. „Sie sind hier nicht in einer Talkshow. Es geht uns nicht um Polemik, sondern um Substanz.“

Wie geht es mit der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland weiter und wie kann unsere Gesellschaft in einem entfesselten Weltfinanzmarkt den sozialen Frieden bewahren? Mit dieser von Gemper ihr gestellten Frage beschäftigte sich Wagenknecht in ihrem Vortrag. Den einst von Ludwig Erhard postulierten „Wohlstand für Alle“ gebe es in Deutschland schon lange nicht mehr, so die Politikerin. Jeder Vierte arbeite mittlerweile im Niedriglohnsektor, die Mittelschicht müsse hart um ihre einstigen Errungenschaften kämpfen: „Urlaube und Restaurant-Besuche sind für viele ein Luxus, den sie sich nicht mehr leisten können.“ Die Hartz-IV-Reform habe im eigentlich reichen Deutschland zu schlimmer Armut geführt, so Wagenknecht weiter: „Ich kenne alleinerziehende Mütter, die erleichtert sind, wenn ihr Kind nicht zu Kindergeburtstagen eingeladen wird, weil sie dann keine Geschenke finanzieren müssen.“

Entfesselte Märkte gefährden sozialen Zusammenhalt

Entwicklungen, die Wagenknecht mit großer Sorge beobachtet. Die zunehmende Ökonomisierung und Kommerzialisierung treibe die Gesellschaft auseinander, in Zeiten entfesselter Märkte sei der soziale Zusammenhalt kaum zu bewahren. Für die Demokratie habe das verheerende Folgen, so die Linke: „Die Menschen wenden sich von der Politik ab und beginnen, die Demokratie zu verachten.“ Wenn die gesellschaftliche Mitte sich politisch nicht mehr vertreten fühle, entstehe der Nährboden für rechten Populismus, warnte Wagenknecht. Das sei in Deutschland ebenso zu beobachten, wie in den Niederlanden oder in Frankreich.

Wagenknecht forderte vor diesem Hintergrund, sich wieder stärker auf die Werte der so genannten „Ordo-Liberalen“ zu besinnen, den geistigen Vätern der „Sozialen Marktwirtschaft“ wie Ludwig Erhard oder dem wissenschaftlichen Ökonomen Walter Eucken. Ihnen sei klar gewesen, dass Märkte sich nicht selbst regulieren können. Die Politik müsse den Rahmen setzen, um eine zu starke Wirtschaftsmacht zu verhindern. „Auch die Globalisierung ist kein naturgegebener Prozess, sondern kann politisch gestaltet werden“, sagte Wagenknecht.

Politik hat Gestaltungsmöglichkeiten

Die Linken-Fraktionschefin attestiert Deutschland in vielen Bereichen schlechte Rahmenbedingungen. Vom Finanzmarkt, auf dem die Banken längst wieder genauso agierten, wie vor der Krise, über den Gesundheitsmarkt, bis hin zur Renten- und Steuerpolitik: Der Großteil des Steueraufkommens werde von der Mittelschicht getragen, Unternehmen wie Apple würden bei uns dagegen viel Geld verdienen, aber kaum Steuern zahlen. Auch der Niedriglohnsektor auf dem Arbeitsmarkt ist für Wagenknecht das Ergebnis falscher politischer Maßnahmen. Eine Politik des „Wohlstands für Alle“ sei auch heute möglich, appellierte Wagenknecht schließlich. Aber sie erfordere den Mut, der Wirtschaft ordnungspolitisch angemessene Rahmenbedingungen zu bieten.

Auf Wahlkampf und Polemik verzichtete die Linken-Politikerin in ihrem Vortrag. Stattdessen lieferte sie eine scharfe und beeindruckend argumentierte Gesellschaftsanalyse, die vom Siegener Publikum immer wieder mit Zwischenapplaus gewürdigt wurde. „Sie haben Vieles so dargestellt, wie ich es auch sehe“, gestand dann auch Gastgeber und Volkswirtschaftler Bodo Gemper in der von Prof. Dr. Hans Jürgen Schlösser moderierten, anschließenden Disputation. „Angesichts unserer parteipolitischen Unterschiede wundere ich mich selbst über so viel Übereinstimmung.“ Wie das Ansehen der Demokratie in Deutschland wiederhergestellt werden könne, wollte Gemper von Wagenknecht noch wissen. Den etablierten Parteien seien die Unterschiede abhandengekommen, konstatierte die Linke: „Wir müssen wieder eine Politik machen, die die Lebensinteressen der Menschen berücksichtigt.“

Text: Tanja Hoffmann, Fotos: Björn Bowinkelmann

Zum Franz Böhm-Kolleg:
Franz Böhm (1895 bis 1977), Jurist, Mitbegründer der Freiburger Schule der Nationalökonomie und des Ordo-Liberalismus, Vorsitzender des „Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirt-schaftsministerium“, personifiziert die Einheit des Denkens im gesellschaftlichen Ordnungsgefüge von Rechtsstaat und sozialer Marktwirtschaft. Das „Franz Böhm-Kolleg“ wurde als Veranstaltungsreihe von Bodo Gemper, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Siegen, 1998 gegründet. Ziel ist ein interdisziplinärer Gedankenaustausch, der besonders auch jungen Menschen den Zugang zu sozialem Dialog eröffnet.

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Dr. Sahra Wagenknecht während der Disputation mit Prof. Dr. Bodo Gemper (r.), moderiert von Prof. Dr. Hans Jürgen Schlösser.

 
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