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Gerechte Gesundheitsversorgung durch eine Bürgerversicherung

Ein Kommentar von Soziologie-Professor Claus Wendt der Universität Siegen

Deutschland hat eine Zweiklassenmedizin. Wir sind das einzige europäische Land, in dem es möglich ist, sich außerhalb des öffentlichen Gesundheitssystems über eine private Vollversicherung gegen das Risiko der Krankheit zu schützen. Das ist auf den ersten Blick nicht dramatisch, da der Unterschied zwischen der Gesetzlichen Krankenversicherung und einem privaten Krankenversicherungsschutz nicht besonders groß ist. Es ist aber ungerecht und bevorzugt bestimmte gesellschaftliche Gruppen, ohne dass es dafür irgendeine überzeugende Begründung gibt. Die Ungleichbehandlung ist historisch entstanden und funktional nicht erforderlich.

Die erste Ungerechtigkeit entsteht dadurch, dass höhere Einkommensgruppen mit einem Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze aus der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aussteigen können. Außerdem sind Beamte und Selbstständige nicht Mitglied der GKV. Höhere Einkommensgruppen und Selbstständige schützen sich über eine private Vollversicherung und Beamte kombinieren staatliche Beihilfe mit einem privaten Krankenversicherungsschutz. Alle drei Gruppen haben dadurch Privilegien, die für Kassenpatienten nicht bestehen. Kürzere Wartezeiten bei ambulanten Facharztbehandlungen, Chefarztbehandlungen im Krankenhaus oder Krankenhausaufenthalte in Ein- oder Zweibett-Zimmern sind nur besonders auffällige Beispiele dieser Privilegien. Eine systematische Unterversorgung von GKV-Versicherten bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen kann daraus nicht abgeleitet werden. Noch nicht. Aber es gibt auch keine Erfordernisse, die diese Privilegien von Beamten, Selbstständigen und Beziehern höherer Einkommen legitimieren.

Die zweite Ungerechtigkeit sollten wir noch etwas ernster nehmen als die ungleiche Versorgung. Diese Ungerechtigkeit entsteht dadurch, dass sich nicht alle Gruppen der Gesellschaft an der finanziellen Umverteilung und damit an der Solidarität innerhalb der GKV beteiligen müssen. Da Beamte und Selbstständige nicht in der GKV sind und höhere Einkommensgruppen aussteigen können, obliegt die Solidarität mit sozial schwächeren Gruppen unserer Gesellschaft vor allem den mittleren Einkommensgruppen. Diejenigen mit einem monatlichen Einkommen oberhalb der Versicherungspflichtgrenze von derzeit 4.950 Euro sowie Beamte und Selbstständige müssen sich an dieser Solidarität in der GKV nicht beteiligen. Früher hat man argumentiert, dass diejenigen mit einem höheren Einkommen den Schutz einer staatlichen Sozialversicherung nicht bedürfen. Alle, die in finanzieller Hinsicht stark genug seien, sollten die Möglichkeit haben, sich freiwillig in einer privaten Krankenversicherung abzusichern. Dieses Argument war schon immer falsch. Außer den Superreichen hat niemand die Möglichkeit, sich alleine gegen das Risiko der Krankheit zu schützen. Alle anderen sind auf eine Solidargemeinschaft angewiesen, um sich gegen die Kosten sehr teurer Therapien effektiv absichern zu können. Entsprechend sollten auch alle Mitglieder der Gesellschaft verpflichtet werden, Teil dieser Solidargemeinschaft zu sein.

Das folgende Beispiel veranschaulicht die Ungerechtigkeit des bestehenden Systems: Arbeitnehmer mit einem sehr hohen Einkommen haben die Möglichkeit, freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bleiben. Wenn sie das tun, wird ihr Einkommen allerdings nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze von monatlich 4.425 Euro zur Berechnung der Beitragshöhe herangezogen. Alle GKV-Versicherten bis zu Beitragsbemessungsgrenze zahlen 14,6% ihres Einkommens in die Solidargemeinschaft ein. Freiwillig Versicherte mit einem Einkommen in doppelter Höhe der Beitragsbemessungsgrenze müssen sich aber nur mit 7,3% ihres Einkommens beteiligen. Ist das Einkommen viermal so hoch, beträgt der Anteil nur noch 3,65%. Je höher das Einkommen, desto geringer ist der Anteil, den freiwillig Versicherten in die Solidargemeinschaft einzahlen. Für sie bleibt ein größerer Einkommensanteil für andere Ausgaben. Hinzu kommt, dass sie selbst entscheiden können, ob sie drinnen bleiben oder nicht. Und viele bleiben in der GKV vor allem dann, wenn ihnen die Solidargemeinschaft nützt. Also dann, wenn sie Kinder haben oder Vorerkrankungen vorliegen, die in der privaten Krankenversicherung hohe Versicherungsprämien zur Folge hätten.   

Das Gesundheitssystem muss jetzt gerechter werden, da nur mit Hilfe aller gesellschaftlichen Gruppen die demografischen Herausforderungen zu bewältigen sind. Die Anzahl von Menschen im Erwerbsalter wird je nach Zuwanderung von derzeit 49 Millionen auf 34 bis 38 Millionen im Jahr 2050 sinken, während die Zahl der über 65-Jährigen stark ansteigt. Für die GKV hat das geringere Beitragseinnahmen und höhere Kosten zur Folge. In einer Bürgerversicherung wären auch Beamte, Selbstständige und höhere Einkommensgruppen Mitglied in der GKV und würden sich an der finanziellen Umverteilung in unserem Gesundheitssystem beteiligen. Genauso wie es heute schon von jedem Durchschnittsverdiener erwartet wird.    

Es gibt viele Gründe, warum sich an dieser Ungleichbehandlung bisher nichts geändert hat. Für Reformen sind politische Mehrheiten und der politische Wille erforderlich, den Durchschnittsverdiener und die unteren Einkommensgruppen zu entlasten. Führt man die Bürgerversicherung ein, legt man sich mit einflussreichen Lobbygruppen an. Hinzu kommt, dass Mitglieder des Bundestages und der Landtage nach beamtenrechtlichen Maßstäben abgesichert sein können, und kein Interesse daran haben dürften, ihre eigenen Privilegien abzuschaffen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, wenn sie Professoren sind, ebenfalls den Beamtenstatus. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sich nur wenige von ihnen dafür einsetzen, dass auch Beamte innerhalb der GKV abgesichert sind.    

Wie eine Bürgerversicherung aussehen kann, zeigt das Beispiel Österreich. Die österreichische Soziale Krankenversicherung wurde einst nach deutschem Vorbild entworfen. Heute können wir vom österreichische Gesundheitssystem lernen. Der Beitragssatz für die Krankenversicherung in Österreich liegt heute bei 7,65 Prozent und ist somit deutlich niedriger als in Deutschland, ohne dass damit ein geringeres Leistungsniveau verbunden ist. Dafür, dass der Beitragssatz nur etwa halb so hoch ist wie in Deutschland, gibt es folgende Gründe. Erstens ist in Österreich die gesamte Bevölkerung über die Sozialversicherung geschützt. Es gibt zwar kleinere Abweichungen bei der Absicherung von Beamten und Selbstständigen, aber auch sie sind Teil der Solidargemeinschaft und beteiligen sich an der finanziellen Umverteilung. Für diese Pflicht zur Solidarität werden Beamte, Selbstständige und Bezieher höherer Einkommen mit einem niedrigen Beitragssatz entschädigt. Zweitens ist die Beitragsbemessungsgrenze in Österreich mit 5.100 Euro höher und dieser Spielraum kann auch in Deutschland genutzt werden, vor allem in einer Bürgerversicherung mit geringeren Beiträgen. Drittens ist der Steuerfinanzierungsanteil in Österreich mit 30% der Gesamtausgaben für Gesundheit sehr viel höher als in Deutschland. Eine höhere Steuerfinanzierung ist deshalb wichtig, da dadurch kapitalintensive Unternehmen an der Finanzierung des Gesundheitssystems beteiligt werden. Der Schutz und die Wiederherstellung der Gesundheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kräfte beteiligen müssen.

Claus Wendt ist Professor für Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems an der Universität Siegen.

 
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