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Trend zu Therapie und Tabletten

Das Nachwuchsforschungsprojekt „Medikalisierung und Psychologisierung sozialer Probleme“ (MEPYSO) ist gestartet. Die WissenschaftlerInnen beschäftigen sich mit Erklärungen für Armut, Arbeitslosigkeit und frühkindlicher Entwicklung. Ob ADHS, Burn Out oder Depressionen: Entlasten oder lähmen ärztliche Diagnosen die Betroffenen?

Für Kinderärzte ist es Alltag: Aufgeregte Eltern, die oft von nicht weniger aufgeregten Erzieherinnen oder Erziehern alarmiert, mit ihrem Nachwuchs in die Praxis kommen, weil „da was nicht stimmt“. Die Kleinen sind zu unruhig oder zu still, zu lebhaft oder zu schüchtern, sie können etwas noch nicht oder sie können schon viel zu viel. Kurz: Sie fallen aus dem Raster „normal“. Mütter und Väter wollen eine Diagnose und wenn möglich gleich die passende Therapie oder Tabletten.

Szenarien wie diese sind Anlass und Gegenstand eines neuen Forschungsprojekts an der Universität Siegen. Es beschäftigt sich mit der Medikalisierung und Psychologisierung sozialer Probleme (MEPYSO). Ein Thema, das nicht nur Kinder betrifft, sondern alle, die in unserer schnelllebigen Zeit nicht mehr mitkommen und womöglich in Arbeitslosigkeit und Armut rutschen.

Medizinische oder psychologische Ursachen sind schnell bei der Hand. Das wurde deutlich bei der Auftaktveranstaltung von MEPYSO, zu der die Projektleiterin der Nachwuchsforschergruppe, Soziologin Dr. Nadine Reibling, Kolleginnen und Kollegen von den Universitäten Bielefeld, Tübingen und Bochum zu einem interdisziplinären Austausch eingeladen hatte.  Zur Eröffnung sprach Laila Heitmann, Referentin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das das Forschungsprojekt MEPYSO fördert. Sie machte deutlich wie wichtig Forschungsergebnisse – wie die von MEPYSO – für die Gestaltung von Sozialpolitik im Ministerium sind.

Drei Jahre wird sich die Forschergruppe, zu der neben Dr. Reibling auch die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen Mareike Ariaans, Philipp Linden und Lisa Bleckmann gehören mit Erklärungen für Armut, Arbeitslosigkeit und frühkindlicher Entwicklung beschäftigen. Ob ADHS, Burn Out oder Depressionen: Entlasten oder lähmen ärztliche Diagnosen die Betroffenen?    

Die Podiumsdiskussion bei der Auftaktveranstaltung mit Praktikern aus der Region machte die Bandbreite des Themas deutlich. Burkhard Lawrenz vom Landesverband der Kinder- und Jugendärzte, bestätigte, dass es einen starken „Trend zur Therapie“ gibt. „Bei Entwicklungsproblemen ist eine pädagogische Förderung angebracht, aber mittlerweile wird für jedes Kind, das nicht dem Durchschnitt entspricht, eine Therapie gefordert. Nach dem Motto: Kann ja nicht schaden.“ Der Arzt findet aber: „Es kann doch schaden, denn das Kind bekommt damit früh den Stempel: krank, therapiebedürftig.“

Georg Ritter vom Jugendamt Siegen, kann da nur leise seufzen. Er hat es meist mit den Fällen zu tun, bei denen die Kinder gar nicht oder zu spät einem Arzt vorgestellt werden. „Je früher man intervenieren kann, umso höher die Erfolgsquote“, betont Ritter. Er sieht es positiv, dass über das Thema Gesundheit und die Vorsorgeuntersuchungen, Familien in die Praxen kommen, bei denen tatsächlich Probleme vorliegen.

Das Spannungsfeld von Überforderung oder Vernachlässigung zieht sich oft weiter durch die Biografien. Klaus Fenster von der Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) findet es bedauerlich, dass immer mehr Eltern glauben, ihre Kinder hätten ohne Abitur keine Zukunftsperspektive und damit enormen Leistungsdruck aufbauen. „Gleichzeitig gibt es viele Jugendliche, bei denen es zusätzliche Betreuung braucht, um sie überhaupt in oder durch eine Ausbildung zu kriegen.“  Was ältere Arbeitnehmer angehe, so seien die Betriebe sehr sensibel geworden für das Thema seelische Gesundheit. „Die Belegschaften werden älter und deshalb nehmen die Unternehmen den Umgang mit psychischen Belastungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehr ernst.“  Martin Debener vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Nordrhein-Westfalen betonte, dass die Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen so enorm zunehme, dass ältere Beschäftige immer mehr unter Druck gerieten. „Und Jüngere, die schon früh zu den Verlierern gehörten, schaffen es beruflich dann auch nicht mehr.“

Die Frage nach Ursache und Wirkung spitzten die Moderatorinnen Mareike Ariaans und Lisa Bleckmann abschließend noch einmal zu. Sind da zuerst psychische Probleme, die medizinische Behandlung erfordern und daraus ergeben sich schwierige soziale Situationen? Oder sind die sozialen Bedingungen oder Arbeitsplatzsituationen problematisch und das führt zu Krankheit und medizinischer Behandlung? Nachdenkliches Schweigen bei den Praktikern. „Das ist für uns alle ein wichtiger Punkt, und darauf erhoffen wir uns durch ihre Forschungsarbeit einige Antworten“, so Lawrenz.

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Was passiert mit denjenigen, die in der Leistungsgesellschaft nicht mitkommen? An der Universität Siegen diskutierten (von links): Mareike Ariaans (MEPYSO), Klaus Fenster (IHK Siegen), Martin Debener (Paritätischer Wohlfahrtsverband), Georg Ritter (Jugendamt Siegen) und Burkhard Lawrenz (Landesverband der Kinder und Jugendärzte) und Lisa Bleckmann (MYPESO)

 
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