Pflege verbessern, Pflegende entlasten
Die Universität Siegen entwickelt in einer deutsch-schweizerischen Kooperation technikunterstützte Modelle für die häusliche Langzeitpflege.
Wie können wir es schaffen, dass Menschen trotz umfassender Betreuungs- und Pflegebedürfnisse in ihrer eigenen Wohnumgebung bleiben können? Die Universität Siegen und die Careum Hochschule Gesundheit in Zürich gehen diese Frage gemeinsam an. Das Projekt hat jetzt die Förderzusage des Schweizer Nationalfonds (SNF) zur Entwicklung von innovativen gemeinschaftsbasierten Versorgungsmodellen für die Langzeitpflege erhalten. In den nächsten drei Jahren wird das Projekt mit insgesamt 375.000 Euro gefördert.
„Aktuelle Ansätze der Langzeitpflege sind nicht nachhaltig, denn sie überfordern Angehörige meist oder basieren auf teilweise problematischen Arbeitssituationen von Pflege-Migrantinnen und -Migranten“, erklärt Juniorprofessorin Dr. Claudia Müller, die das Projekt von Siegener Seite leitet. Sie und ihr Team erforschen technologische Unterstützungsmöglichkeiten im Bereich der häuslichen Pflege. „Die Bedarfe an IT-Unterstützung in solch sensiblen Situationen wie in der häuslichen Langzeitpflege sind sehr spezifisch und individuell. Der Markt gibt bereits vieles her, vom Notrufsystem über die Medikamenteneinnahme-Erinnerung bis zur Quartiersplattform. Aber in den Haushalten ist bisher wenig angekommen. Dies liegt zu einem Großteil daran, dass diese Anwendungen ohne den Blick auf die sozialen Gemeinschaften entwickelt werden, innerhalb derer Techniknutzung, Kommunikation und Austausch stattfinden“, sagt Müller. Um passgenaue Lösungen maßzuschneidern, sei es wichtig, mit der IT-Forschung und -Entwicklung nah an der realen Praxis, in den Haushalten und im Wohnquartier, anzusetzen.
Mit den Themen „Sorgende Gemeinschaft“ und „Living Labs“ (Siegener PRAXLABs) verfolgt das Projekt zwei Ansätze. Die ForscherInnen fragen erstens, wie die Verantwortung für die häusliche Pflege, Betreuung und Versorgung von Einzelpersonen und Familien auf lokale Gemeinschaften ausgedehnt werden kann. Zweitens wollen die WissenschaftlerInnen entsprechende Möglichkeiten partizipativ erkunden, das heißt zusammen mit allen Betroffenen – mit Gesundheitsfachpersonen, mit Vertretern aus Politik und Forschung sowie mit der Zivilbevölkerung. In drei Schweizer Modellkommunen werden mittels des PRAXLABs-Ansatzes Räume für das gemeinsame Lernen und Forschen eingerichtet. Dort können alle Beteiligten zukunftsorientierte, technikgestützte, nachhaltige und finanzierbare Modelle der gemeindebasierten häuslichen Langzeitpflege erarbeiten. Das übergreifende Ziel von CareComLabs ist, Menschen in den lokalen Gemeinschaften für das Thema „Pflege“ zu sensibilisieren und das umeinander Wissen und füreinander Sorgen zu stimulieren und zu moderieren. Klassische Ansätze der professionellen Pflege und des Ehrenamts - zum Beispiel die Nachbarschaftshilfe - sollen damit erweitert und in neuartiger Form kombiniert werden.
„Mit unserem innovativen PRAXLABs-Ansatz besitzen wir am Institut für Wirtschaftsinformatik eine Forschungsinfrastruktur, mit der wir bestens für sensible gesundheits- und pflegeorientierte Bereiche ausgerüstet sind. Der PRAXLABs-Ansatz vereint qualitative, ethnographische und beteiligungsbasierte Methoden, mit denen Technikentwicklung aus der Uni in die Alltags- und Arbeitsumfelder der zukünftigen Nutzergruppen gebracht wird“, erläutert Claudia Müller. Sie freut sich darüber, dass die Schweiz, neben den verschiedenen deutschen Modellregionen sowie Ländern wie Tunesien und Palästina, den PRAXLABs-Forschungsverbund bald erweitern wird.
Dr. Heidi Kaspar, Gesundheitsexpertin und Zürcher Projektleiterin bestätigt: „Die Verbindung beider Beteiligungsstränge – den der Beteiligung von Menschen mit Unterstützungsbedürfnissen innerhalb der Gesundheits- und Pflegeforschung mit dem Partizipations-Ansatz der angewandten Informatik – verspricht ganz neue Möglichkeiten für eine moderne Unterstützung der häuslichen Pflege.“
Der Leiter der Zürcher Forschungsabteilung, Prof. Dr. Ulrich Otto, ist begeistert, die bestehenden Forschungskooperationen zwischen Deutschland und der Schweiz um eine weitere mit der Universität Siegen erweitern zu können. Und er ist zuversichtlich, dass das sehr gut funktionieren wird – ist doch Jun.- Prof. Claudia Müller seit dem 1. Oktober als Gastprofessorin in Teilzeit an seinem Institut beschäftigt und damit perfekt aufgestellt für den Austausch zwischen beiden Ländern und den jeweiligen Wissenschaftsfeldern.