Die Corona-Krise als Stunde der Exekutive
Während die Volksparteien einen Aufschwung erleben, bekommt die Opposition Probleme: Die Corona-Krise sorgt in der Politik für Gewinner und Verlierer, sagt Politikwissenschaftler Prof. Dr. Simon Franzmann von der Universität Siegen.
Die CDU muss ihren neuen Parteivorsitzenden erst noch finden, die Union (CDU/CSU) hat noch längst keinen Kandidaten für die Bundestagswahl 2021. Und doch bezeichnet etwa der Weser-Kurier Markus Söder schon jetzt als "Kanzler der Herzen". In Umfragen klettert der bayrische Ministerpräsident in der Beliebtheitsskala, wird teilweise als beliebtester Politiker der Bundesrepublik geführt. Und auch Vizekanzler Olaf Scholz, der beim Kampf um den SPD-Parteivorsitz noch eine Schlappe einstecken musste, kann zufrieden auf seine Beliebtheitswerte blicken. Für Prof. Dr. Simon Franzmann kommt das nicht überraschend. "Eine Krise ist immer die Stunde der Exekutive. Jetzt können die Regierungen auf Bundes- und Landesebene Handlungsfähigkeit beweisen", sagt der Politikwissenschaftler der Universität Siegen. Die Corona-Krise sorge in der Politik für Gewinner und Verlierer.
"Was zuvor ein Nachteil sein konnte, wandelt sich jetzt in einen Vorteil. War ein Teil der Bevölkerung von der Regierung eventuell ermüdet, so sehnt sie sich jetzt nach Stabilität. Und wer diese bieten kann, der profitiert", erklärt Prof. Franzmann. Finanzminister Olaf Scholz etwa könne zeigen, dass sein Mantra der schwarzen Null der richtige Weg war. Markus Söder erfahre auch weit über Bayern hinaus Akzeptanz. Spannend werde die langfristige Beurteilung der Krisenbewältigung. "Aber wenn zum Beispiel Armin Laschet und Jens Spahn keine großen Fehler unterlaufen, dann steigen die Chancen des Duos auf den CDU-Vorsitz massiv."
Verlierer sind kurzfristig zumindest diejenigen, die nicht aktiv ins Geschehen eingreifen können. Norbert Röttgen und Friedrich Merz, Kandidaten für den CDU-Vorsitz, fehlt die große Bühne, anderen Parteien die Themen. "Vor allem populistische Oppositionsparteien haben ein Problem. Die AfD hat in der Flüchtlingskrise gesagt: 'Die Regierung hat versagt. Der Staat ist nicht handlungsfähig.' Das greift jetzt nicht mehr", so der Siegener Politikwissenschaftler. Vielmehr habe sich ein Gelegenheitsfenster für die Volksparteien aufgetan. "Jahrelang hat eine gesellschaftspolitisch-kulturelle Diskussion die Politik dominiert. Davon haben die Grünen und die AfD profitiert. Die Corona-Krise ist ein extremer externer Schock. Plötzlich stehen auch sozioökonomische Themen wieder im Mittelpunkt." Nun könnten die teils als „verstaubt“ geltenden Regierungsparteien als Stabilitätsanker glänzen.
Für Prof. Simon Franzmann gibt es in der aktuellen Situation aber auch einen weiteren, vielleicht etwas überraschenden Gewinner: "Zu Beginn der Krise wurde die Rolle des Föderalismus sehr kritisch gesehen, doch jetzt zeigt sich, dass das Prinzip funktioniert." Vom Bund über die Länder seien auf allen Verwaltungsebenen Kompetenzen verteilt. Zudem könne voneinander gelernt und entsprechend schnell reagiert werden. "In Großbritannien warten dagegen alle darauf, was aus London kommt. Das System ist massiv auf den Premierminister ausgelegt. Solche zentralen Systeme sind manchmal leistungsfähiger, jetzt zeigen sich die Probleme aber sehr deutlich."
Insgesamt erwartet Prof. Simon Franzmann, dass sich die Art und Weise, wie über Politik diskutiert wird, ändert: "Es gibt kein Zurück mehr zur Normalität. Wir werden anders über Wirtschaft und Digitalisierung reden, Daten-Tracking und Grundrechte sind dabei, große Themen zu werden."
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Simon Franzmann ist seit Februar 2020 Inhaber der Professur „Politisches System der Bundesrepublik Deutschland“an der Universität Siegen. Der Familienvater ist Nachfolger des 2017 verstorbenen Prof. Tim Spier. Prof. Franzmann promovierte an der Universität zu Köln und habilitierte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Forschungsschwerpunkte des Politikwissenschaftlers sind unter anderem der Parteienwettbewerb, Populismus und die Analyse von Wahlprogrammdaten.