..
Suche
Hinweise zum Einsatz der Google Suche
Personensuchezur unisono Personensuche
Veranstaltungssuchezur unisono Veranstaltungssuche
Katalog plus

Gekommen, um zu bleiben

Immer mehr hochausgebildete Menschen aus Indien kommen zum Arbeiten nach Deutschland – und viele von ihnen bleiben. Was ist dabei heute anders als früher – und was heißt das für die Zukunft? Das untersucht die Soziologin und STAR-Stipendiatin Dr. Amrita Datta von der Universität Siegen.

Eine indische Community in Deutschland gibt es schon lange, aber sie war nie besonders groß. Seit einigen Jahren allerdings ziehen immer mehr hochausgebildete Menschen aus Indien nach Deutschland, um hier zu arbeiten oder zu studieren. 2020 lebten mehr als 150.000 InderInnen in der Bundesrepublik. Ihre Zahl hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht. Was zieht sie hierher? Wie leben sie und welche Pläne haben sie für ihre Zukunft? Zu diesen Fragen forscht die Soziologin Dr. Amrita Datta von der Uni Siegen.

Während Menschen aus Indien früher meist zum Arbeiten nach Deutschland kamen und dann zurückkehrten, bleiben nun viele von ihnen langfristig oder sogar für immer, erzählt Datta. „Sie kaufen zum Beispiel Häuser oder schicken ihre Kinder auf deutsche Schulen.“ Früher seien hingegen internationale Schulen gefragt gewesen, weil klar war, dass die Familie irgendwann weiterziehen würde.

„Mich interessiert der Grund für diese Veränderungen“, sagt Datta. Die Postdoktorandin ist Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiatin im Fachbereich Soziologie an der Fakultät I der Universität Siegen sowie Stipendiatin des STAR-Programms – und seit sie ihren Lebensmittelpunkt aus Indien nach Deutschland verlegt hat, gehört sie selbst zur Gruppe derer, die sie erforscht.

Beobachtungen im Alltag und Befragungen

Die Wissenschaftlerin hat mit einer Art Schneeballsystem nach InderInnen gesucht, die in Deutschland leben – zu ihrer Zielgruppe gehören hochqualifizierte Berufstätige und Studierende. Soweit die Corona-Pandemie es ermöglicht, beobachtet Datta sie in ihrem Alltag und befragt sie. Typischerweise geht es dabei darum, was den Ausschlag gegeben hat, nach Deutschland zu ziehen: Gab es bestimmte Gründe, Indien zu verlassen? Hat ein Faktor besonders für Deutschland als Zielland gesprochen?

Die Wissenschaftlerin interessiert außerdem, wie nun der Alltag aussieht: Steht zum Beispiel weiter indisches Essen auf dem Speiseplan? Auf welche Schulen gehen die Kinder? Wie daten indische Frauen und Männer in Deutschland? Wie sehen die Geschlechterrollen aus? Und wie frei fühlen sich indische Frauen in Deutschland – auch im Vergleich zu Indien?

Ihre Beobachtungen und Interviews wertet die 37-Jährige anschließend qualitativ aus. Dabei sucht sie nach Mustern. Sie analysiert zum Beispiel, ob und inwiefern sich Beobachtungen wiederholen und ob bestimmte Aussagen mehrfach getätigt werden. Außerdem nutzt sie Daten des Statistischen Bundesamtes, um ihre Beobachtungen einzuordnen.

Neue Lebensperspektive in Deutschland

Datta selbst kam 2013 zum ersten Mal nach Deutschland. Damals war sie Stipendiatin der Hanns-Seidel-Stiftung an der Humboldt-Universität zu Berlin – und reiste zum ersten Mal überhaupt aus Indien ins Ausland. Ihr Fokus lag zu dem Zeitpunkt auf der Frage, inwiefern InderInnen in der deutschen Gesellschaft Ausgrenzung erleben. Für ihre Feldforschung befragte sie in Berlin nach Deutschland ausgewanderte InderInnen zu ihren Erfahrungen.

Zugleich entdeckte die Forscherin selbst in Deutschland eine neue Lebensperspektive für sich. „Ich habe mich auf einmal sehr frei gefühlt“, sagt sie. „Ich konnte als Frau zu jeder Tages- und Nachtzeit nach draußen gehen und habe mich immer sicher gefühlt. Und ich konnte mich draußen bewegen, ohne belästigt zu werden.“ In Indien habe sie gegenteilige Erfahrungen gemacht – insbesondere seit einem Rechtsruck der Regierung 2014. Nach weiteren Aufenthalten in Deutschland an der Universität zu Köln 2016 und 2017 entschied sich die Soziologin, ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland zu verlegen: Sie wollte intensiv vor Ort nach Antworten auf ihre Fragen suchen.

Seit dem Herbst 2021 forscht die Postdoktorandin nun an der Universität Siegen. Das ermöglichen ihr ihre beiden Stipendien. „Insbesondere das STAR-Stipendium hat mir sehr weitergeholfen“, sagt sie. Das Stipendienprogramm STAR, kurz für: Sensing and Sensibility – Transcending Disciplines for a Responsible Future, ist ein Trainings- und Mobilitätsprogramm, das von der Europäischen Union gefördert wird. StipendiatInnen können etwa an speziellen Trainings teilnehmen, bekommen Unterstützung beim Aufbau eines Netzwerks oder können ausgedehnte Auslandsaufenthalte organisieren.

„Das Programm ist sehr sinnvoll für mich und meine Forschung“, sagt Datta. „Ich habe die Universität insgesamt als sehr hilfreich erlebt und vor allem das Welcome Center hat mich sehr dabei unterstützt, in Siegen anzukommen.“ Das Team des Centers half ihr etwa dabei, eine Wohnung in Siegen zu finden oder die nötigen Formulare für die Ausländerbehörde auszufüllen.

Auch Geschlechterrollen sind ein Aspekt bei der Einwanderung

Für ihre Feldforschung hielt die Wissenschaftlerin sich zunächst jeweils drei Monate in Köln und in Berlin auf. Erste Ergebnisse ihres Projekts gibt es bereits. Datta zufolge hat etwa die Blaue Karte der EU die Einwanderung nach Deutschland stark befördert. Wer als hochqualifizierter Ausländer mit einem überdurchschnittlich hohen Verdienst dieses Zertifikat erhält, kann nicht nur in Deutschland arbeiten, sondern auch nach 33 Monaten eine unbefristete Niederlassungserlaubnis beantragen – mit entsprechenden Deutschkenntnissen sogar schon nach 21 Monaten. „Das ist für viele InderInnen ein attraktives System, um ihre Zukunft zu planen“, erklärt Datta.

Eine Rolle spielt außerdem die Corona-Pandemie: Nachdem sie die Mobilität zunächst beeinträchtigt hatte, treibt sie die Einwanderung nach Deutschland nun sogar an. „Viele InderInnen haben mir berichtet, dass sie in dieser Zeit das deutsche Gesundheitssystem zu schätzen gelernt haben“, berichtet die Soziologin. „Für sie ist es ein Anreiz, sich hier dauerhaft niederzulassen, und, sofern es möglich ist, irgendwann auch ihre alternden Eltern aus Indien nachzuholen, weil sie hier besser versorgt werden können.“

Auffällig ist zudem, dass zwar weiterhin mehr indische Männer als Frauen einwandern, aber die Inderinnen aufholen: Ihr Anteil steigt laufend, zuletzt lag er bei rund 36 Prozent. „Vor allem indische Singlefrauen sehen Vorteile darin, in Deutschland zu arbeiten“, sagt Datta. „Sie können hier viel stärker über ihr eigenes Leben entscheiden.“ Während es in Indien etwa weiterhin arrangierte Ehen gebe, könnten Frauen in Deutschland frei leben, ohne dass ihr Umfeld sich einmische.

Wenn immer mehr gut ausbildete InderInnen in Deutschland arbeiten, ihre Kinder auf deutsche Schulen schicken, Häuser kaufen und ihre Familien nachholen, hat das weitreichende Effekte. „Zum einen gehe ich davon aus, dass InderInnen im Gesellschaftsbild immer sichtbarer werden“, sagt Datta. „Zum anderen sehe ich natürlich auch Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft, wenn der Trend sich fortsetzt.“ Die Einwanderung junger, hochqualifizierter InderInnen biete viele Chancen für beide Seiten: „In Indien fehlen ausreichend Jobmöglichkeiten für junge Leute – und umgekehrt benötigt Deutschland dringend Fachkräfte.“

Kontakt
Dr. Amrita Datta, Soziologie, Universität Siegen
E-Mail: amrita.datta@uni-siegen.de


COFUND-Programm STAR

Eine internationale Ausbildung und wissenschaftlichen Austausch bietet das COFUND-Programm „STAR: Sensing and Sensibility – Transcending Disciplines for a Responsible Future“ an der Universität Siegen. Das Postdoc-Programm ist ein Trainings- und Mobilitätsprogramm und unterstützt Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dabei, ihre Forschungen in einem inspirierenden und produktiven Umfeld umzusetzen, weiterzuentwicklen und global zu vernetzen. STAR wird seit 2020 im Rahmen der Marie Skłodowska-Curie Actions der EU an der Universität Siegen gefördert und ist im Referat Forschungsförderung der Universität Siegen angesiedelt.

Weitere Informationen, Unterstützung und Beratung:
https://star.uni-siegen.de/
https://forschung.uni-siegen.de/

Autorin: Maria Berentzen
Fotonachweis: Sascha Hüttenhain

Dieser Artikel erschien zuerst im Forschungsmagazin future der Universität Siegen.

 
Suche
Hinweise zum Einsatz der Google Suche