Uni eröffnet Zentrum für Verbraucherschutz
ForscherInnen untersuchen Situationen, in denen Verbraucher verletzlich sind und ihnen Manipulation droht.
Wenn die Idole junger Menschen Werbung für Produkte auf YouTube oder Instagram machen, erkennen das nicht alle Verbraucher. Wer zu jung ist, wer zu wenig Informationen hat, der ist in dieser Situation verletzlich. Die Universität Siegen konzentriert sich mit dem neuen „Zentrum für Verbraucherschutz“ auf Situationen wie diese, in denen Verbraucher verletzlich werden. Das Zentrum möchte Handlungsvorschläge für Politik und Gesellschaft entwickeln und zur Verbraucherbildung beitragen. Im Rahmen der FoKoS-Woche des Forschungskollegs der Universität Siegen ist das neue Zentrum eröffnet worden.
„Wir alle sind Verbraucher, wir alle möchten die richtigen Entscheidungen treffen. Doch es gibt Situationen, bei denen man schwer entscheiden kann“, sagt Prof. Dr. Hanna Schramm-Klein, Mitinitiatorin des Zentrums. Neben der Marketing-Professorin engagieren sich Prof. Dr. Christoph Strünck (Sozialwissenschaften), Dr. Gunnar Mau (ZU Friedrichshafen) und Dr. Michael Schuhen (Zentrum für ökonomische Bildung in Siegen, ZöBiS) im neuen Zentrum.
Gefährdet ist grundsätzlich jeder, doch anfällig für Manipulationen sind vor allem Kinder, Senioren, kranke und arme Menschen. Durch die digitalen Möglichkeiten, zum Beispiel im Online-Handel, wächst die Herausforderung, diese Gruppen zu schützen. „Der Verbraucher der Zukunft braucht Kompetenzen, um auch in der digitalen Welt seine Wünsche, Träume und Bedürfnisse äußern und vertreten zu können“, sagt Prof. Schramm-Klein.
Doch wie viel Verbraucherschutz ist notwendig? Welchen Stellenwert kann Verbraucherbildung einnehmen? Und wie weit soll der Staat eingreifen, um verletzliche Verbraucher zu schützen? Bei der Podiumsdiskussion anlässlich der Eröffnung standen diese Fragen auf der Tagesordnung. „Werbung für Leistungen oder Produkte kann zu besseren Angeboten führen, aber auch zur Manipulation in eine Richtung“, sagte Clemens Grünwald (datenschutz nord GmbH). „Es gibt situative Benachteiligungen, zum Beispiel bei den kostenpflichtigen IGEL-Leistungen beim Arzt. Hier fehlen uns einfach die Informationen, das sollte verboten werden“, sagte Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (Düsseldorf).
Doch ist ein Verbot immer das richtige Instrument? Nein, erklärte Prof. Dr. Peter Kenning, Professor für Marketing an der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf und Sprecher des Netzwerks Verbraucherforschung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz: „Lebensmittel mit einem hohen Zuckergehalt kann ich verbieten, ich kann sie aber auch kennzeichnen.“ Zum Beispiel durch eine Ampel den Produkten. Doch hilft diese Maßnahme, Übergewicht zu vermeiden? Das möchte das neue Zentrum untersuchen. „Dadurch möchten wir der Verbraucherpolitik und der Gesellschaft Handreichungen geben“, sagte Prof. Schramm-Klein. Klar ist: Ein bloßes „Mehr“ an Informationen ist nicht immer hilfreich, schließlich gibt es Verbraucher, die sich gerne auf die breite Masse verlassen und gar keine Preise oder Leistungen vergleichen wollen.
Eine Aufgabe des Zentrums wird daher sein, die Gründe für die Entscheidungen von Verbrauchern zu ermitteln. Denn darüber liegen in der aktuellen Forschung zu wenig Daten vor. „Wir benötigen Daten, um bei Verbraucherpolitischen Themen eine Basis zu haben. Das ist unsere Aufgabe als Forscher. Sonst regulieren wir im Blindflug“, sagte Prof. Kenning. Dass trotz der Millionen-Investitionen in Marketing und Kommunikation viele Produkte am Markt „floppen“, zeige, wie wenig über die Motivation der Käufer bekannt sei.
Eine der gefährdeten Gruppen sind Kinder. Dr. Michael Haas arbeitet mit dem Verein Media Smart daran, ihnen die nötigen Kompetenzen zu vermitteln im Umgang mit modernen Medien zu vermitteln und gibt diese didaktischen Hilfestellungen auch an Schulen weiter.
„Und wann ist die Politik gefragt, einzugreifen?“, fragte Moderatorin Ursula Weidenfeld (Wirtschaftsjournalistin)? „Oftmals werden Probleme durch mediale Öffentlichkeit Thema in der Politik, der Staat greift dann oft ein, wenn der Handel es nicht leisten kann und es zu einem Marktversagen kommt“, sagte Prof. Kenning. Der Staat könnte jedoch nicht nur reagieren, sondern Verbraucher auch in die richtige Richtung „stubsen“ (englisch: Nudging).
In Schweden beispielsweise gibt es eine Verpflichtung zur Altersvorsorge. „Sinnvolle ‚Stubser’ können fehlende Kompetenzen ersetzen und helfen, richtige Entscheidungen zu treffen“, sagte Prof. Schramm-Klein. Sie stellt jedoch klar: „Es geht nicht darum, zu 100 Prozent eine rationale Entscheidung zu treffen, sondern es geht darum, ein lebenswertes Leben zu führen. Wenn Verbraucher so gefährdet sind, dass sie dies nicht mehr können, müssen sie geschützt werden.“