Zocken in der Fabrikhalle
Wie können mittelständische Unternehmen ihre Produktionsmitarbeiter dazu motivieren, ihre Betriebsdaten zeitnah zurückzumelden? Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen setzt in einem Test-Betrieb ein Spiel für Tablets ein, um unter anderem eine schnellere und genauere Produktionsplanung zu ermöglichen.
Der Vogel muss durch das Loch in
der Mauer fliegen. Das ist das Ziel des Tablet-Spiels, das die
Mitarbeiter der Firma ALU-Technik Attendorn künftig während
ihrer Arbeit an den Maschinen spielen. Wissenschaftler der Uni
Siegen haben es gemeinsam mit dem Unternehmen entwickelt, um
die Mitarbeiter dazu zu motivieren, ihre Auftrags- und
Qualitätsdaten aus der Produktion zurückzumelden. Nur wenn alle
im Team ihre Daten regelmäßig digital dokumentieren, erreicht
der Vogel die richtige Flughöhe und fliegt zu jeder Stunde
durch das Loch. Gespielt wird dabei Schicht gegen Schicht. Ziel
ist es, mit dem Team einen Platz in der ewigen Bestenliste zu
erreichen. Wenn es Ausreißer gibt, fliegt der Vogel gegen die
Wand – Game Over.
Über das Tablet-Spiel melden die Mitarbeiter zum Beispiel, wie
viele Aluminiumteile sie schon gestanzt haben, wie viele
fehlerhafte Stücke sie wegwerfen mussten und ob das Ergebnis
den Qualitätsvorgaben entspricht. So behält der Mitarbeiter in
Echtzeit den Überblick über das geleistete Pensum und auch der
Produktionsleiter kann schnell auf Ereignisse reagieren und
umplanen. Fehler in der Produktion fallen sofort auf und
Maschinen können rechtzeitig neu eingestellt werden.
Aus Zettelwirtschaft wird ein digitales
Echtzeit-System
Dr. Thomas Ludwig Bisher sah das anders aus:
Stündlich bzw. am Ende einer Acht-Stunden-Schicht trugen die
Mitarbeiter ihre Zahlen und Qualitätsmessergebnisse auf
Papierzettel ein. Manchmal waren die Angaben nicht korrekt oder
unvollständig. Die Firma ALU-Technik Attendorn hat insgesamt 35
Mitarbeiter. Anders als in großen Unternehmen war niemand
explizit darauf spezialisiert, die Daten zu digitalisieren.
Also sammelten sich die Zahlen in Aktenordnern. Falls jemand
bestimmte Daten brauchte, konnte es länger dauern, bis man sie
fand. Im schlimmsten Fall hätte das Unternehmen bis dahin
bereits falsch produzierte Ware an den Kunden geliefert – ein
Super-GAU. Das kann nicht mehr passieren, wenn die Mitarbeiter
in der Fabrikhalle die Betriebsdaten direkt digitalisiert
eingeben und etwaige Probleme echtzeitnah ermittelt werden
können.
„Wir geben dem Betrieb eine digitale Eingabehilfe an die Hand,
individualisiert abgestimmt auf das Unternehmen“, sagt
Projektleiter Christoph Kotthaus. Der
Diplom-Wirtschaftsinformatiker hat gemeinsam mit Dr. Thomas
Ludwig, Geschäftsführer des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums
Siegen, das Spiel im Projekt „EKPLO“ der Uni Siegen
(Echtzeitnahes kollaboratives Planen und Optimieren)
entwickelt. Das Spiel wird nun im Rahmen des Kompetenzzentrums
in kleine und mittlere Unternehmen transferiert. Durch
Interviews mit den Produktionsmitarbeitern, den
Produktionsleitern und dem Geschäftsführer hat ihr Team
erfahren, worauf es im Betrieb ankommt. „Unsere empirischen
Methoden haben zum Beispiel früh gezeigt, dass wir nicht, wie
ursprünglich gedacht, Einzelpersonen gegeneinander spielen
lassen, sondern die Mitarbeiter Teams je Schicht bilden“,
erzählt Ludwig.
Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen unterstützt
mittelständische Unternehmen
Christoph Kotthaus „In der Firma ALU-Technik
Attendorn testen wir spielerische Elemente in einer Umgebung,
in der das Spielen eigentlich unüblich ist. Gamification nennt
sich das. Damit setzen wir Anreize, die bei den Mitarbeitern
unheimlich gut ankommen“, erklärt Dr. Thomas Ludwig. Das
Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen bündelt die Expertise
aus verschiedenen Fachrichtungen und der Projektpartner – der
Ruhr-Universität Bochum, der Fachhochschule Südwestfalen und
dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT
– und bringt das Wissen in die Betriebe, zum Beispiel mit
spielerischen Anreizen. Das Kompetenzzentrum gehört zur
Förderinitiative Mittelstand-Digital. Mit Mittelstand-Digital
unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)
und dem Handwerk. Unter dem Motto „Qualifizierte Arbeit im
digitalen Wandel“ unterstützt das Kompetenzzentrum KMU
besonders in Südwestfalen und im Ruhrgebiet aber auch
bundesweit dabei, ihre digitale Kompetenz zu steigern und sich
zukunftsfest aufzustellen. Egal ob die Aneignung von
3D-Druckern, die Einführung neuer Managementmodelle oder der
Einsatz von Augmented oder Virtual Reality bei Umrüstprozessen
– das Kompetenzzentrum bringt innovative Ideen in die Betriebe
ein. Dabei stehen die Mitarbeiter im Fokus des kostenfreien und
anbieterneutralen Angebotes.
Die Mitarbeiter von ALU-Technik-Attendorn bewerten das Spiel
momentan in verschiedenen Workshops. Danach wird es in einer
Testphase in der Fabrikhalle eingesetzt. „Wir versprechen uns
von dieser App eine gesteigerte Motivation der Mitarbeiter bei
ihrer doch recht monotonen Tätigkeit. Wir hoffen, dass sich
durch die Fortschrittsanzeige das Stresslevel reduziert und
sich dadurch letztendlich eine sorgfältigere Arbeitsleistung
einstellt“, sagt Stefan Schlephorst, kaufmännischer Leiter der
Attendorner Firma. Produktionsmitarbeiter Edmund Hartmann
ergänzt: „Man kann mit dem Spiel leicht erkennen, wie weit man
schon ist und ob man gut in der Zeit liegt. Das war bisher
nicht so. Außerdem ist es leichter die Daten zu erfassen als
vorher.“ Im Vordergrund stehen betriebliche Zahlen, aber
natürlich wird sich auch zeigen, ob das Spiel den Zusammenhalt
zwischen den Mitarbeitern fördert. Wenn es nötig ist, das Spiel
oder die Geräte nachzubessern, kann das Kompetenzzentrum sofort
eingreifen. „Wir bringen mit unserem Mittelstand
4.0-Kompetenzzentrum Siegen neue Arten der Digitalisierung in
die Unternehmen und lernen dann aus der Praxis, wie wir
Produkte und Software noch besser machen können. Davon
profitieren wir alle“, erklärt Ludwig.
Unternehmen, die mit dem Mittelstand
4.0-Kompetenzzentrum Siegen zusammenarbeiten möchten, können
sich an den Leiter des Zentrums wenden:
Dr. Thomas Ludwig
Geschäftsführung Mittelstands 4.0-Kompetenzzentrum Siegen
Kohlbettstr. 15
57072 Siegen
0271 740-4763
thomas.ludwig@uni-siegen.de
Hintergrund
Mittelstand-Digital informiert kleine und mittlere Unternehmen
über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung.
Regionale Kompetenzzentren helfen vor Ort dem kleinen
Einzelhändler genauso wie dem großen Produktionsbetrieb mit
Expertenwissen, Demonstrationszentren, Netzwerken zum
Erfahrungsaustausch und praktischen Beispielen. Das
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ermöglicht die
kostenlose Nutzung aller Angebote von Mittelstand-Digital.
Die Europäische Union und das Land NRW fördern das Projekt
EKPLO.
Mehr Informationen
http://kompetenzzentrum-siegen.digital(im Aufbau)
http://ekplo.de