A) Rekonstruktion der Entwicklung mathematischen Wissens in der Geschichte und in der Schule
In der Forschungsgruppe „Entwicklung mathematischen Wissens im Spannungsfeld von Empirie und Theorie“ untersuchen wir die schulische Entwicklung mathematischen Wissens in klassischen Inhaltsbereichen der Schulmathematik, unterstützt durch wissenschaftstheoretische Instrumente und historischen Vergleichsstudien. Im Dissertationsprojekt von Gero Stoffels wird in diesem Sinne die Wahrscheinlichkeitsrechnung thematisiert. Ich arbeite auf diese Art und Weise bisher insbesondere im Bereich der Algebra und der Analysis:
Grundlegend für die moderne Analysis (nach Cauchy und Weierstraß) ist der Grenzwertbegriff. Darauf aufbauend werden in Vorlesungen zur Analysis Differentiation und Integration behandelt. Um diese für Schülerinnen und Schüler formal-abstrakte Theorie zu vermitteln, greift man im Schulunterricht aber häufig auf geometrische Veranschauungsmittel zurück – die Schulanalysis ist wesentlich an auf dem Zeichenblatt (oder graphischen Taschenrechnern) gegebenen Kurven orientiert. Existenzfragen (z.B. bzgl. Stetigkeit, Extremwerte, Differenzierbarkeit etc.) werden häufig qualitativ an Objekten aus der Empirie geklärt. Hier gibt es substantielle Ähnlichkeiten zur Geschichte der Mathematik im 17. und 18. Jahrhundert – diese zeigt uns Wege und Möglichkeiten für einen sinnhaften genetischen Weg zu Begriffen der Analysis.
Während moderne Schulbuchautoren (und vermutlich auch eine Vielzahl von Lehrerinnen und Lehrer) oftmals davon überzeugt scheinen, sie veranschaulichten die abstrakte Differential- und Integralrechnung geschickt durch Kurven in einem geometrischen Anwendungskontext, erwerben die Schülerinnen und Schüler aus einer konstruktivistischen Perspektive betrachtet eine empirisch-gegenständliche Theorie über eben diese Veranschaulichungsmittel (v.a. Kurven) – so meine in Veröffentlichungen thematisierte These mit Blick auf den aktuellen Analysisunterricht. Eine Entwicklung die interessanterweise durch den Einsatz neuer Medien, wie den graphischen Taschenrechner, weiter befördert wird.
Diese empirisch-gegenständliche Auffassung von Mathematik, so ein grundsätzliches Ergebnis meiner historischen Analysen, muss nicht defizitär sein – man denke nur an Leibniz, der auf Grundlage von Zeichenblattkurven eine wirkungsmächtige Analysis entwickelte. Historische Fallbeispiele können aus dieser Perspektive gewinnbringend für eine Grundlegung des Mathematikunterrichts diskutiert werden. Hier habe ich mich u.a. mit der Bestimmung von Tangenten(steigungen), der Bestimmung von Krümmungskreisen, der Regel von L’Hospital, der Reihenentwicklung der Exponentialfunktion oder dem Hauptsatz der Differentialrechnung beschäftigt.
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