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Ästhetik und Statik zusammendenken

Sabine Nitz

Ein Jahr lang ist Prof. Gallardo Llopis von der Universitat Politècnica de València als Gastwissenschaftler am Department Architektur. Ein wichtiges Thema für ihn und seinen Kollegen an der Universität Siegen, Prof. Dr.  Thorsten Weimar: die Novellierung der Tragwerklehre.

Prof. Weimar und Prof. Gallardo Llopis sind Experten für Tragwerke.

Spezialisten der Tragwerke: Professor Thorsten Weimar (links) und Professor David Gallardo Llopis von der Universitat Politècnica de València, der für ein Jahr als Gastwissenschaftler an der Universität Siegen tätig ist. 

 

Die Stütze im Raum stört ihn. Jedes Mal, wenn Prof. Dr. David Gallardo Llopis das Büro seines Kollegen Prof. Dr.-Ing. Thorsten Weimar betritt, bleibt sein Blick daran hängen. „Die müsste da eigentlich nicht sein“, sagt der Architekt und Tragwerksspezialist aus Spanien, der für ein Jahr als Gastwissenschaftler an der Universität Siegen ist. Da hätten Architekten und Ingenieure damals zu wenig miteinander gesprochen oder sich nicht verstanden. Und das – da sind sich der Architekt Gallardo Llopis und der Ingenieur Weimar einig – darf nicht sein. Beide unterrichten angehende Architektinnen und Architekten in Tragwerklehre, und beide sind motiviert, den Studierenden in ihrem Fachgebiet einen Weg zwischen Gestaltung und Konstruktion, zwischen Ästhetik und Struktur aufzuzeigen.

Denn ob Stuhl oder Haus, Bücherregal oder Brücke: Wenn etwas halten soll, muss die Tragkonstruktion stimmen. Wer Architektur studiert, sollte das lernen. Aber wie und wie intensiv, wo es doch die Ingenieurinnen und die Ingenieure gibt, deren Expertise genau da gefragt ist? In Deutschland und in Spanien ist das verschieden, wie Gallardo Llopis erzählt. Der Architekt lehrt seit 27 Jahren verschiedene Fächer im Rahmen der Tragwerklehre an der Universitat Politècnica de València. An der Universität Siegen interessiert ihn vor allem der Aspekt, wie die Tragkonstruktion den Architekturstudierenden hier vermittelt wird. Dieses Thema diskutiert er neben Professor Weimar auch mit Dr.-Ing. Katja Wirfler, Architektin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Tragkonstruktion, deren Dissertation Professor Gallardo Llopis als zweiter Gutachter betreute.

Ein Name fällt in diesen Gesprächen immer wieder: Curt Siegel. Professor Weimar holt ein Buch aus dem Regal der Lehrstuhlbibliothek mit dem Titel „Strukturformen der modernen Architektur“. Die leicht vergilbten Seiten deuten das Alter an. „Es ist ein Klassiker der Tragwerklehre“, erklärt er. Siegel habe vor über 65 Jahren als Architekt und Hochschullehrer die statisch-konstruktive Lehre für Architekt*innen grundlegend reformiert. „Aber seine Ansätze sind immer noch aktuell“, sind sich Weimar und Gallardo Llopis einig. Denn Siegel habe den Studierenden vor allem über gebaute Beispiele entlang der Architekturgeschichte einen Zugang zur Tragkonstruktion eröffnet. Wie fließen Kräfte in Bauteilen? Wie funktionieren Baustoffe? „Über 300 Seiten und keine einzige Formel“, betont Gallardo Llopis. Das ist für ihn sowie den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Siegen entscheidende Motivation, die Tragwerklehre in der Architektur zu überdenken.

„Die Architekturstudierenden müssen selbstverständlich die physikalischen Kräfte und deren Transport über die Tragstruktur eines Bauwerks kennen, aber sie müssen diese nicht im Detail berechnen können, um ein Tragwerkskonzept beim Entwerfen zu entwickeln“, so Weimar. Das findet Gallardo Llopis auch. „Bei uns in Spanien ist das leider so. Da müssen sich die Architekturstudierenden vom zweiten bis zum letzten Studienjahr mit Tragkonstruktionen beschäftigen und alles berechnen können. Die berufliche Realität sieht aber anders aus. Die meisten Architektinnen und Architekten in Spanien arbeiten wie im Rest von Europa. Sie sind am Entwurf des Tragwerks beteiligt, aber dann beauftragen sie einen Statiker, um die Berechnungen auszuführen.“ Für die Studierenden in Spanien sei die Tragwerklehre deshalb in dieser Form nur eine riesige Hürde. „Ich sehe hier in Siegen, wie es besser gehen kann.“ Er schreibt gerade ein Fachbuch über die Tragwerklehre, das hoffentlich der Ausgangspunkt für eine Reform in Spanien sein werde. „Man kann die Tragkonstruktion viel visueller, intuitiver und effizienter vermitteln“, meint Gallardo Llopis. „Das hat Curt Siegel schon damals erkannt.“

Heute stehen dafür digitale Werkzeuge zur Verfügung. „Auf der Basis von Siegels Ansätzen möchten wir in Siegen innovative Anwendungen entwickeln, damit sich die Studierenden das Verständnis für die unterschiedlichen Tragkonstruktionen digital erarbeiten können“, erklärt Weimar. Das Forschungsprojekt heißt „Programmierte Tragwerklehre 2.0“, das Wirfler gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr.-Ing. Andreas Hoffmann vom Lehrstuhl für Betriebssysteme und verteilte Systeme entwickelt. In interaktiven Übungen können Architekturstudierende die Visualisierung von Kräften und Verformungen in Tragkonstruktionen in Echtzeit simulieren. „Das intuitive Verständnis für den Zusammenhang von Konstruktion und Form wird dadurch gezielt geschult“, erklärt Weimar. Mit Gallardo Llopis ergänzt sie nicht nur ein weiterer Experte, sondern auch ein hervorragender Programmierer. Er möchte im Gegenzug die Ideen am Ende seines einjährigen Aufenthaltes mit nach Valencia nehmen.

Professor Gallardo Llopis: „Ich möchte mit dem Lehrstuhl für Tragkonstruktion auch zukünftig in engem Austausch bleiben und mich an der Novellierung der Tragwerklehre beteiligen, denn ich bin überzeugt, dass die Ergebnisse nicht nur für die Universität Siegen, sondern auch für meinen aktuellen Lehransatz an der Universitat Politècnica de València sehr wertvoll sind.“

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