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Reformen nicht auf Kosten der Patient*innen

Tanja Hoffmann

Zu hohe Kosten, große Ungleichheit, zu schlechte Versorgung: Das deutsche Gesundheitssystem muss dringend reformiert werden. Der Gesundheitswissenschaftler Prof. Dr. Claus Wendt von der Uni Siegen mahnt in der aktuellen Debatte, dass Reformen nicht auf Kosten der Patienten gehen dürfen.

Der Siegener Gesundheitssoziologe Prof. Dr. Claus Wendt

Prof. Dr. Claus Wendt forscht zum internationalen Vergleich von Gesundheits- und Pflegesystemen.

"Versuche, Patient*innen über zusätzliche Gebühren zu steuern, haben noch nie funktioniert."

Wie können die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) angesichts drohender Milliarden-Löcher entlastet werden? Eine von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken einberufene Expert*innen-Kommission soll konkrete Reformvorschläge machen und dabei die Strukturen des deutschen Gesundheitswesens in den Blick nehmen. Die Kommission hat diese Woche ihre Arbeit aufgenommen. Der Siegener Gesundheitswissenschaftler Claus Wendt warnt in diesem Zusammenhang vor einer weiteren Ökonomisierung des Systems: Reformen dürften nicht auf Kosten der Patient*innen gehen, betont Wendt, der an der Universität Siegen die Professur für Soziologie der Gesundheit und des Gesundheitssystems inne hat.

 

„Menschen mit hohem Einkommen halten zusätzliche Gebühren nicht von Arztbesuchen ab. Arme Menschen verzichten hingegen auch auf notwendige Termine. Das kann dazu führen, dass sie zu spät behandelt werden und die Kosten am Ende noch höher sind“, erklärt Wendt. Von einer Kontaktgebühr bei Arztbesuchen oder Patientenrechnungen, um die hohe Anzahl an Arztbesuchen zu reduzieren und die Krankenkassen zu entlasten, hält Wendt wenig. „Solche Versuche, Patientinnen und Patienten über zusätzliche Gebühren zu steuern, haben noch nie funktioniert“, sagt Wendt und erinnert an die bereits vor zwölf Jahren gescheiterte Praxisgebühr.

 

Der Gesundheitswissenschaftler spricht sich stattdessen für die flächendeckende Einführung eines Hausarztprinzips aus: Patient*innen tragen sich auf der Liste einer Hausarztpraxis ein, die dann alle Gesundheitsleistungen koordiniert. Facharztbesuche wären nur noch mit Überweisung durch die Hausärztin oder den Hausarzt möglich. Natürlich steige dadurch die Belastung für die Hausärzt*innen, räumt Wendt ein – aber auch dafür gebe es Lösungen: „Der Trend geht in Richtung großer Primärversorgungszentren – das halte ich für den richtigen Weg. Länder wie Schweden oder die Niederlande haben sich in der ambulanten Versorgung schon vollständig von Einzelpraxen verabschiedet. Das entlastet Ärztinnen und Ärzte: Zum Beispiel müssen sie bürokratische Aufgaben nicht mehr selbst erledigen, sondern können sie an eine gemeinsame Verwaltung abgeben.“

 

Gleichzeitig fordert Wendt eine Akademisierung von Pflegeberufen, um Ärztinnen und Ärzte weiter zu entlasten. Besser qualifiziertes Krankenpflegepersonal könne bestimmte Aufgaben übernehmen, die in Deutschland bisher nur Ärzt*innen durchführen dürfen. Das sei auch kostengünstiger, betont Wendt: „Natürlich müssten diese Leistungen dann auch anders abgerechnet werden. Dass das funktioniert, machen uns ebenfalls andere Länder vor, insbesondere in Skandinavien oder die Niederlande.“

 

Auch bei Krankenhausbehandlungen sind laut Wendt strukturelle Reformen nötig – sie verursachen im deutschen Gesundheitssystem die größten Kosten. Die Verweildauer im Krankenhaus müsse dringend reduziert werden, meint Wendt: „Bei uns bleiben Patientinnen und Patienten teilweise doppelt so lange im Krankenhaus, wie in anderen Ländern. Der bessere Weg wäre, sie früher zu entlassen und dafür durch mobile Krankenpflege-Teams zu Hause zu versorgen.“ Dass sei nicht nur günstiger als ein Krankenhausbett zu finanzieren – es führe auch zu einer schnelleren Genesung: „In der gewohnten Umgebung fühlen sich die Menschen wohler und bewegen sich deutlich mehr, als im Krankenhaus, wo selbst das Essen im Liegen eingenommen wird.“

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FinanzKommission Gesundheit (FKG)

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