Semestereröffnung der Mittwochsakademie: Der Mensch soll Gutes tun
Prof. Dr. Peter Schallenberg referierte bei der Semestereröffnung der Mittwochsakademie zum Thema "Tugenden in der Demokratie. Von der politischen Relevanz des Christentums".
Das Wintersemester der Mittwochsakademie ist feierlich eröffnet. Zu Gast war der katholische Moraltheologe Prof. Dr. Peter Schallenberg (Paderborn). Sein Thema lautete „Tugenden in der Demokratie. Von der politischen Relevanz des Christentums“. Das Thema reiht sich in das Semesterprogramm der Vortragsreihe „Forum Siegen“ zum Thema „Zivilgesellschaft unter Druck“ ein.
Grußworte der Hochschulleitung überbrachte Prorektorin Prof.in Dr. Barbara Müller-Naendrup. Sie unterstrich die Relevanz der Formate und die Vielfalt der Themen der Angebote unter dem Dach des Hauses der Wissenschaft der Universität Siegen. Christentum und Demokratie, so die Prorektorin, brauchten Engagement und lebten davon, dass Menschen Verantwortung übernähmen.
Prof. Dr. Stephan Habscheid als wissenschaftlicher Leiter der Mittwochsakademie stellte den Referenten vor. Die Kirchen gehörten streng genommen nicht zur Zivilgesellschaft, da es sich um Körperschaften des öffentlichen Rechts handele. Sie übernähmen aber wohlfahrtstaatliche Aufgaben, gestalteten beispielsweise den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Sie erhielten Steuern, die der Staat einziehe. Sie seien aber nicht eingebunden in die staatliche Verwaltung, sondern davon unabhängig. Kirchliche Vereine, Verbände und Initiativen seien in vielfältiger Weise zivilgesellschaftlich aktiv.
Prof. Dr. Peter Schallenberg, Jahrgang 1963, ist Inhaber des Lehrstuhls für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn. Dabei handelt es sich um eine eigenständige, staatliche Hochschule in Trägerschaft des Erzbistums Paderborn, die 1614 gegründet wurde. Er studierte Theologie und Philosophie zunächst in Paderborn, dann an der Päpstlichen Universität Gregoriana und im Collegium Germanicum et Hungaricum, einer Ausbildungsstätte für kath. Priester in Rom.
Im Rahmen seines Vortrags lud Peter Schallenberger auf eine kleine Reise durch die Geschichte ein. Der damalige Kardinal Ratzinger nahm in seiner Ansprache zur Gedenkfeier der Landung der Alliierten Truppen in der Normandie am 6. Juni 2004 Bezug auf die „Gorgias“ von Plato und den Dialog zwischen Sokrates und Kallikes. Für Kallikes gelten das Recht des Stärkeren und das Streben nach Lust als höchstes Gut. Sokrates hingegen unterscheidet zwischen dem Guten und dem Angenehmen. Ein gutes Leben definiert er als geordnetes, gerechtes Leben: „Es ist besser Unrecht zu erleiden als Unrecht zu tun.“ Durch den Tod würden Leib und unsterbliche Seele getrennt. Gelange die Seele vor den Richter, würden Striemen und Wunden sichtbar, die entstanden, weil ihre innere Schönheit, ihre Würde, missachtet wurde. Mit Blick auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland – so Peter Schallenberger - würde die Übersetzung lauten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Doch bei aller Klarheit dieses Satzes kann die Übertragung in konkreten Situationen herausfordernd sein. Es stellt sich die Frage, an welchem Punkt der Schutz der unantastbaren Würde gewaltvolles Handeln begründet. Peter Schallenberg verwies exemplarisch auf die Attentäter des 20. Juli 1944, die sich nach langen Überlegungen entschlossen hatten, Hitler zu töten, um Krieg, Terror und Elend zu beenden.
Dem heiligen Augustinus wird der Satz zugesprochen: Gottes Liebe zum Menschen heißt „Ich will, dass Du bist!“. Diese unzweifelhafte Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit der Existenz eines jeden Menschen entspreche heutzutage der unantastbaren Menschenwürde des ersten Grundgesetzartikels. Bezug nehmend auf den alttestamentlichen Brudermord von Kain an Abel komme dem Staat die Rolle als Garant der minimalen Gerechtigkeit mittels Gesetzen und der Ahndung von Verstößen zu. Der Begriff des Staates basiere auf dem augustinischen Begriff „status iustitiae“ – der Zustand der Gerechtigkeit. Denn seit Kain und Abel hätten die Herzen der Menschen zwei Möglichkeiten – Herr zu werden über das Böse, oder sich dem Bösen auszuliefern.
Nach der Zeit des Naziterrors mit unsäglichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Würde von Menschen wurde im Grundgesetz, das zwischen dem 10. Und 23. August 1948 auf Herrenchiemsee erarbeitet wurde, die Unverletzlichkeit der Menschenwürde zementiert. Artikel 1 des Grundgesetzes entsprang der Erfahrung menschlicher Abgründe. Vielleicht, so Schallenberg habe eine so gute Verfassung nur ganz dunklen Jahren entspringen können.
Der Referent merkte an, dass Gesellschaft und Demokratie Diskussionen auf der Basis des Austauschs von Argumenten benötigten. Zugleich unterstrich Schallenberg mit Blick auf die Friedensethik: „Wir sind in der Notwendigkeit, gerechte Kriege führen zu müssen.“ Und weiter: „Mit Verrücktheiten von Menschen hatte Augustinus nicht gerechnet.“ Bleibt das Postulat, der Mensch möge Gutes tun. Die konkrete „Füllung“ sei dabei weit und bleibe in der Aushandlung letzten Endes eine fortwährende Aufgabe.