Poetry@Rubens
Poetry@, Rubens ist eine Lesungsreihe, veranstaltet von der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen gemeinsam mit dem Apollo-Theater und dem Haus der Wissenschaft, die der Gegenwartsliteratur in der Stadt Siegen seit 2007 ein Forum bietet. Einmal im Jahr gibt es eine ausgewählte Lyrik-Lesung (Prof. Dr. Dieter Schönecker) und einmal pro Jahr eine Prosa-Lesung (Prof. Dr. Jörg Döring).
Dank der Christa-und-Dieter-Lange-Stiftung ist es möglich im Format YoungPoetry Schullesungen ab Jahrgangsstufe 7 anzubieten und über der Literatur mit den jungen Menschen über aktuelle gesellschaftliche Themen ins Gespräch zu kommen. Jugendbuchautorinnen und Jugendbuchautoren waren in 2025 zum Thema „80 Jahre Ende des 2. Weltkriegs“ eingeladen. 2026 soll das Thema lauten „Mental Health im Spiegel aktueller Jugendliteratur“.

Poetry@Rubens
Lena Schätte: „Das Schwarz an den Händen meines Vaters" (S. Fischer 2025)
11. November 2025, 19 Uhr, Apollo-Theater, Prosa

»Motte« wird die Ich-Erzählerin von ihrem Vater genannt. Der Vater ist Arbeiter, Spieler, Trinker. Eigentlich hat Motte sogar zwei Väter: den einen, der schnell rennen kann, beim Spielen alle Verstecke kennt und sich auf alle Fragen eine Antwort ausdenkt. Und den anderen, der von der Werkshalle ins Büro versetzt wird, damit er sich nicht volltrunken die Hand absägt. Und das mit dem Alkohol, sagt die Mutter, war eigentlich bei allen Männern in der Familie so. Auch Motte trinkt längst mehr, als ihr gut tut. Schon als Kind hat sie beim Schützenfest Kellnerin gespielt und die Reste getrunken, bis ihr warm wurde. Jetzt, als junge Frau, schläft sie manchmal im Hausflur, weil sie mit dem Schlüssel nicht mehr das Schloss trifft. Ihr Freund stützt sie, aber der kann meistens selbst nicht mehr richtig stehen. (Verlag S. Fischer) Moderation: Prof. Dr. Jörg Döring
Michael Donhauser: “Unter dem Nussbaum”
18. November 2025, 19 Uhr, Apollo-Theater, Lyrik

»Ein Aufhören, Aufrichten, ganz in Schwarz ein Atemzug Aufmerksamkeit« – mit diesen Worten setzte Michael
Donhauser vor nun fast vierzig Jahren an zum poetischen Flug, der bis heute nicht an Höhe, nicht an Verve und Versatilität verloren hat. Getragen von einem Wind, der den Rhythmus vorgibt, manchmal aufbraust, an den Bäumen, den Rosen rüttelt, dann wieder abklingt, gleich einem Atmen in allem, »wehend von fernher und feiernd«, erkundet Donhausers Dichtung seitdem die Welt mit jedem Vers ein Stückchen mehr, schaut um sich und lauscht, fächert sie auf und lässt sie sinnlich erfahrbar werden in einem allein der poetischen Wahrnehmung verpflichteten Werk. Einem Werk, das mit Unter dem Nussbaum bei Weitem keinen Abschluss findet, sondern sich mit Blick auf bereits Veröffentlichtes, Verstreutes, Verlorengeglaubtes in neuen Texten aufrichtet, anhebt, ein Schlagen mit den Flügeln, hin zu jenem Ort, wo sich zeigt, was Gedichte vermögen. (Verlag Matthes & Seitz Berlin) Moderation: Prof. Dr. Dieter Schönecker
Ansprechpartner
Univ.-Prof. Dr. Dieter Schönecker
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Jörg Döring
Kontakt
Young Poetry
Der Nahost-Konflikt aus der Sicht derer, die ihn erleben
Der Autor Martin Schäuble las am FJM-Gymnasium aus der Neuauflage seines Sachbuchs

Sichtweisen, auch Perspektiven genannt, stehen für die Art und Weise, wie oder aus der jemand etwas betrachtet oder bewertet. Im Plural bedeutet es, dass mehrere Personen unterschiedliche Perspektiven auf etwas haben. Unterschiedliche Perspektiven bilden den Mittelpunkt von Martin Schäubles Jugend-Sachbuch „Die Geschichte der Israelis und Palästinenser – Der Nahost-Konflikt aus der Sicht derer, die ihn erleben“.
Dr. Martin Schäuble ist Journalist und Autor. Er studierte und lebte nicht zuletzt in Palästina. Sein Buch basiert auf Gesprächen mit Palästinenserinnen und Palästinensern sowie mit Israelinnen und Israelis. Schäuble war auf Einladung des Hauses der Wissenschaft der Universität Siegen zu Gast am Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium in Weidenau. Er las vor rund 80 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe 11. Die Sichtweisen wechselten stets zwischen der Palästinensischen und der Israelischen.
Als Einstieg wählte er den Bericht einer Augenzeugin des Überfalls der Hamas am 7. Oktober 2023 auf den Kibbuz Kfar Aza. Jedes Haus im Kibbuz besaß ein „sicheres“ Zimmer. In dieses flüchtete auch die Zeugin. 18 Menschen drängten sich in dem kleinen Raum, die Luft zum Atmen wurde knapp, ein Fenster gekippt. Das Nachbarzimmer war ausgebrannt. Leichen lagen darin. Die Menschen im „sicheren“ Zimmer wurden schließlich von einer Spezialeinheit der israelischen Armee befreit.
Am gleichen Tag berichtete ein palästinensischer Vater im Gazastreifen von einem israelischen Angriff, bei dem seine kleine Tochter von Geschossteilen schwer verletzt wurde. Sieben Monate lang sprach das Mädchen nach dem Angriff nicht mehr.
Zwei Stimmen aus der Zeit vor 20 Jahren. Abraham Bar-Am (Israeli): „Von klein auf sah ich Kriege. Ich selbst kämpfte im Unabhängigkeitskrieg, im Suezkrieg, im Sechs-Tage-Krieg, im Jom-Kippur-Krieg und in vielen weiteren Einsätzen. Mein Sohn kämpfte. Mein Enkel kämpfte. Er liegt verwundet im Krankenhaus. Und ich glaube, der Enkel meines Enkels wird auch kämpfen“.
Amelie Dschaqaman (Palästinenserin): „Meine Mutter kam während der osmanischen Besatzung auf die Welt. Ich wurde während der englischen Besatzung geboren, meine Kinder während der jordanischen, deren Kinder während der israelischen. Es gibt immer jemanden, der dieses Land will, aber nie jemanden, der uns will. Ist das keine Tragödie?“
Martin Schäuble zeigte den Schülerinnen und Schülern ein Plakat aus den 1930er Jahren „Visit Palestine“. Das Plakat gestaltete der jüdische Österreicher Franz Kraus, der vor den Nazis floh. Es zeigt den Blick vom Ölberg auf Jerusalem. 50 Jahre später nutzten Palästinenser diese Vorlage für ein Protest-Plakat gegen die israelische Besatzung.
Der von den Vereinten Nationen nach dem 2. Weltkrieg erstellte Plan zweier Staaten wurde niemals Realität. Nach dem 1. Arabisch-Israelischen Krieg wurden rund 500.000 Palästinenser vertrieben; Flüchtlingslager entstanden. Nach 1948 wurden auch viele Juden aus arabischen Ländern vertrieben. Die aktuelle politische Lage zwischen Hamas, Fatah und rechts-religiöser israelischer Regierung lasse eine Lösung der vertrackten Lage nicht erahnen, so der Autor. Es sehe so aus, als ob die israelische Regierung die Palästinenser vollends aus dem Gaza-Streifen vertreiben wolle.
Der Lesung folgte eine vielschichtige Diskussion. YoungPoetry wird finanziert von der Christa-und-Dieter-Lange-Stiftung.
„Ein Vorbild für uns alle“
Der Autor Reiner Engelmann las an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule aus seinem Jugendbuch „Der Fotograf von Auschwitz“

Wer erinnert an die Gräueltaten der Nationalsozialisten, wenn die Zeitzeugen immer weniger werden? Es sind die Aufzeichnungen der Lebensgeschichten und Erinnerungen der Opfer und manchmal auch die der Täter. Dazu gehört Reiner Engelmanns Jugendbuch „Der Fotograf von Auschwitz“. Der Autor aus dem Hunsrück reiste ins Siegerland, um die Vita des polnischen Fotografen Wilhelm Brasse, der als „Fotograf von Auschwitz“ bekannt wurde, an der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule vorzustellen und mit rund 250 Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufen 10 und 11 ins Gespräch zu kommen. Eingeladen worden war Engelmann vom Haus der Wissenschaft der Universität Siegen. Finanziert wurde die Lesung im Rahmen des Formats YoungPoetry von der Dieter-und-Christa-Lange-Stiftung. Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Jana Mikota stellte den Autor vor: „Mit dem, was er macht, ist er ein Vorbild für uns alle.“
Wilhelm Brasse wurde im Dezember 1917 im seinerzeitigen Saybusch, dem heutigen Zywiec, in Schlesien geboren. Seit 1935 arbeitete er als Berufsfotograf und fertigte im entfernten Fotostudio seines Onkel Portraits und Passfotos. Als junger Mann, so Engelmann, konnte Brasse durchaus als „Lebemann“ bezeichnet werden, der gerne feierte, tanzte und auch die Mädels mochte. Nach dem Überfall Deutschlands auf Polen wollte sich Brasse in seiner Heimatstadt zur polnischen Armee melden. Zywiec war bei seinem Eintreffen aber bereits besetzt. Trotz seiner Zweisprachigkeit - er beherrschte die polnische und die deutsche Sprache – lehnte er es ab, als Deutscher anerkannt zu werden. Gemeinsam mit Freunden brach er im März 1940 auf, um sich in Frankreich dem polnischen Widerstand anzuschließen. Kurz vor der Grenze wurde die Gruppe verhaftet.
Brasse wurde gemeinsam mit 25 Menschen in eine winzige Zelle gesperrt. Viele Gefangene überlebten bereits diese erste Station als Häftlinge nicht. Engelmann: „Es war reines Glück, diese vier Monate zu überleben.“ Brasse wurde im Sommer 1940 über Tarnow nach Auschwitz transportiert. Das Vernichtungslager befand sich im Aufbau. Brasse erhielt die Häftlingsnummer 3444 eintätowiert, die bis zur Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen – seiner letzten Häftlingsstation – im Jahr 1945 durch die US-Armee seinen persönlichen Namen in der Anrede ersetzte.
In Auschwitz war Brasse zuerst im Straßenbau eingesetzt, dann als Leichenträger, in der Kartoffelschälerei und schließlich als Lagerfotograf. Als Fotograf war er sogenannter Funktionshäftling. Dieser Status ging mit besseren Lebensbedingungen und auch Überlebenschancen einher. Das unendliche Leid und zum großen Teil qualvolle Sterben der unzähligen Mithäftlinge fand Darstellung in Engelmanns Buch, das auf Gesprächen mit Wilhelm Brasse basiert. Tausende Häftlinge fotografierte Brasse. Er sorgte dafür, dass diese Fotografien nicht der von den Nazis angeordneten Vernichtung anheimfielen, sondern bis heute als Zeitzeugnisse und zur Erinnerung an die Ermordeten dienen.
In der Aula der Bertha-von-Suttner-Gesamtschule herrschte über zwei Schulstunden hinweg Ruhe. Gebannt – wenn nicht gar sprachlos – lauschten die Schülerinnen und Schüler den Ausführungen des Autors. Die zweiten 90 Minuten standen für Fragen und Diskussion zur Verfügung. Die jungen Leute wollten vieles wissen. Die Fragen gingen nicht aus: Wie geht man mit Holocaust-Leugnern um? Hatten die Lagerbediensteten Freude daran, Menschen zu quälen, zu misshandeln und zu ermorden? Wurden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen und bestraft? Zeigten sie Unrechtsbewusstsein? Kann so etwas wie die Nazi-Diktatur nochmals passieren? Wie kann man vorbeugen?
Drei Stunden vergingen schnell. Die Schülerinnen und Schüler hatten sich im Unterricht auf Lesung und Diskussion vorbereitet. Die Erzählung Reiner Engelmanns über das mörderische und menschenverachtende Geschehen in Auschwitz und anderen Vernichtungslagern während des Nazi-Terrors in Europa bewegte ungeachtet des Vorwissens tief.
Ansprechpartnerin
Dr. phil. Jana Mikota
Kontakt

Katja Knoche
Kontakt
