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Buchvorstellung

Vilnius

Tomas Venclova zeichnet in seinem Roman die siebenhundertjährige, wechselhafte und schwierige Geschichte der Stadt Vilnius nach, welche für ihn die Geschichte Europas im Kleinen ist. Der Reichtum der sprachlichen, kulturellen und religiösen Traditionen, wie er sich z.B. in der Architektur und Geistesgeschichte der Stadt widerspiegelt, wurde ihm ein Lebensthema. So hat er an amerikanischen Universitäten osteuropäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt, um das Gedächtnis an eine Welt wach zu halten, die hinter dem Eisernen Vorhang verschwunden war. Doch die Skizzierung der Entwicklung der Hauptstadt dieses neuen europäischen Landes erfolgt durchaus kritisch: als früherer sowjetischer Dissident mahnt Venclova seine litauischen Landsleute vor Träumen nationaler Homogenität. Er behandelt weiterhin die wechselnden Machtverhältnisse und Grenzziehungen und erzählt von Menschen, deren Wirken der Stadt einst ihre Seele gab. Mythos und Geschichte verschmelzen. Die Erzählung beginnt in antiker Vorzeit und reicht bis in das Vilnius von heute. Dabei zeigt sie immer den multiethnischen Charakter der Stadt auf. Neben den Litauern prägten auch Polen, Russen, Ruthenen und Juden sowie die Turkvölker der Tataren und Karaimen das Stadtleben. So entwickelte sich Vilnius zu einem „Kontinent im Kleinen“, den es um seiner Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität wegen zu bewahren gilt.
Der Autor: Tomas Venclova

Tomas Venclova wurde 1937 in Klaip÷da im heutigen Litauen geboren. Von 1954 bis 1960 studierte er Philologie an der Universität Vilnius, schloss sein Studium mit dem Diplom ab und arbeitete dort danach als Dozent. Er lebte mehrere Jahre in Moskau (1961-1965) und Leningrad (1969-1972) und hielt sich dort in Literatur-Dissidenten- Kreisen auf. 1977 erhielt er eine Ausreiseerlaubnis nach Berkeley, wo er eine Gastdozentur antrat. Während seines Aufenthalts dort wurde ihm die sowjetische Staatsbürgerschaft aberkannt und er erhielt politisches Asyl in den USA.
Seit 1980 unterrichtet Tomas Venclova an der Yale University im Bereich Slawische Sprachen und Literaturen. Hier schloss er 1985 ein Doktorandenstudium ab und ist seitdem in Yale Professor für russische und osteuropäische Literatur.
1972 erschien sein erster Lyrikband Zeichen der Sprache. Später veröffentlichte er noch einige Lyrikbände, literaturwissenschaftliche Arbeiten und essayistische sowie publizistische Sammlungen. Im Jahr 2000 erhielt er den Nationalpreis der Republik Litauen. Tomas Venclova lebt und arbeitet in New Haven, USA.
Der Fragebogen

Nennen Sie drei Begriffe, die Sie mit Europa assoziieren.

a) vielsprachig, religiös, vielfältig
b) Verbreitung von Zeit und Gedächtnis über einen (recht begrenzten) Raum
c) Offenheit und Fähigkeit zur kritischen Selbsteinschätzung

Wo liegen für Sie die geopoetischen (literarischen) Grenzen Europas? Gibt es ein Zentrum Europas?

Ich glaube, die Grenzen umfassen den ganzen Kontinent bis hoch zum Uralgebirge, obwohl sie in Russland zu verschwimmen beginnen (Pushkin, Mandelstam und Brodsky sind europäische, aber Tolstoy, Dostojewski und Solzhenitsyn sind eher eurasische Schriftsteller).
Das Zentrum ist nirgendwo (oder überall).

Können Sie den Begriff Europa aus litauischer Sicht definieren?

Unsere größte historische Aufgabe ist es, ein integrierter Teil Europas zu werden. Wir versuchen dies seit dem 13. Jahrhundert. Scheinbar wird es erst heute zu einer realistischen Aussicht.

Sehen Sie in Ihren Werken einen Bezug zum Thema Europa?

Ich glaube, dass absolut alles, was ich schreibe, sich auf dieses Thema bezieht.

Würden Sie sagen, dass Europa in der Literatur momentan ein aktuelles Thema ist?

Sehr wahrscheinlich sogar.

Welches Buch eines europäischen Schriftstellers hat Ihnen besonders gut gefallen?

Es gibt einige Bücher, angefangen bei Homer. Außerdem würde ich Prousts Romanzyklus und Mandelstams Gedichte (Tristia) erwähnen.
Verfasserin: Marie Zimmermann