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Forschungsfeld 4: Nationalsozialismus in seiner Zeit und in Nachkriegsgesellschaften

Zur Einführung


Der Nationalsozialismus entwickelte sich aus der Mitte der deutschen Gesellschaft heraus. Nach 1933 waren immer mehr Kreise aus unterschiedlichen sozialen und konfessionellen Milieus bereit, sich von seinen Vorstellungen und Inszenierungen infizieren zu lassen. Das reichte selbst über die Grenzen der deutschen Gesellschaft hinaus, wie etwa die Zustimmung in Großbritannien zu einzelnen seiner Angebote andeutet. Nach 1945 standen die Nachkriegsgesellschaften angesichts der vielfältigen individuellen und gruppenspezifischen Verantwortlichkeiten für ein zwölfjähriges Unrechtsregime vor weitreichenden Herausforderungen. Opfer-/Tätererzählungen, Lesarten der Beteiligung, der Belastung, der Schuld und Unschuld sowie Strategien der Freisprechung konkurrierten miteinander um die Deutungshoheit in allen Ländern, die sich damit konfrontiert sahen. Die Deutung als 'Stunde Null' vor allem im deutschen Raum etablierte eine deutliche Zäsur in der Vorstellung der Menschen und verwischte vielfach die tatsächlichen Kontinuitäten, die in vielen Bereichen von Staat und Gesellschaft über das Jahr 1945 hinaus bestanden.

Zu diesem Forschungsfeld zählen folgende Themen:

  1. Die Reise ins Dritte Reich. Britische Augenzeugen im nationalsozialistischen Deutschland (1933-39)

  2. Exotik im Dritten Reich. Das Koloniale in populären Medien und die Mobilisierung der Deutschen

  3. Lärm machen. Geräuschkulissen, (Hör-)Erfahrungen und soziale Akustik in Erfurt, Essen und Birmingham (1910-1960)

  4. Kontaktzone Bonn: Praktiken öffentlicher Kommunikation und Verlautbarung in der frühen bundesrepublikanischen Mediendemokratie (1949-1969)

  5. Eugenik und Euthanasie in Südwestfalen

  6. Rundfunksäulen und Lautsprecheranlagen

1. Die Reise ins Dritte Reich. Britische Augenzeugen im nationalsozialistischen Deutschland (1933-39)


Angesichts der politisch relativ stabilen Verhältnisse und des geringen Rückhalts der britischen Faschisten galten politische Eliten und die Gesellschaft Großbritanniens in den dreißiger Jahren als weitgehend unempfänglich für die diversen Angebote des NS-Regimes an die Deutschen, Duldung, Zustimmung oder sogar Begeisterung für seine Politik und seine Ziele zu entwickeln. Nur einzelne Verirrte habe es gegeben, die der Überzeugungskraft eines Hitler, dem internationalen Aufstieg Deutschlands oder anderen Elementen wie etwa einer perfekt organisierten Olympiade 1936 erlegen seien. Tatsächlich aber gab es von britischer Seite ein deutlich breiteres Spektrum an Reaktionen auf das NS-Regime, überraschend viel Anklang für die Maßnahmen der neuen Machthaber seit 1933 in vielfältigen Bereichen: im wirtschaftlichen Wiederaufbau, in den sozialpolitischen Aktionen, in der Organisation der Jugend, der Inszenierung des 'Führers', selbst in propagandistischen Großinszenierungen wie dem Reichsparteitag oder der Verfolgung politisch Andersdenkender. Kaum eine Gruppe veranschaulicht das so eindrucksvoll wie die Britinnen und Briten, die Deutschland zwischen 1933 und 1939 bereisten. Von Angehörigen des diplomatischen Dienstes über Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft, der Kirchen, der Verbände und der Presse bis zu jenen, die im Land ihren Urlaub verbrachten, reichte das Spektrum. Wie die Analyse ihrer Reiseberichte belegt, bestand neben durchaus vorhandenen kritischen Deutungen ein erstaunliches Maß an Zustimmung zu dem, was man im Land gesehen und erfahren hatte. Sie beruhte oft darauf, Deutschland und den Nationalsozialismus zu trennen. So konnten Phänomene wie der Autobahnbau oder die vergleichsweise leichte Überwindung der Weltwirtschaftskrise als unpolitische oder gar ideologiefreie Leistungen gewürdigt werden.

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2. Exotik im Dritten Reich. Das Koloniale in populären Medien und die Mobilisierung der Deutschen


Um seine Herrschaft auf weit mehr als nur Terror und Propaganda zu stützen, nutzte der Nationalsozialismus vielfältige Elemente wie eine größere ökonomische Sicherheit, mehr soziale Aufstiegsmöglichkeiten oder Freizeitaktivitäten und Unterhaltungsangebote. Unterschiedlichen Gruppen der Gesellschaft standen unterschiedliche Integrationsangebote zur Verfügung, um sich am NS-Regime zu beteiligen und davon zu profitieren, es in vielen Formen zu begrüßen oder einfach nur hinzunehmen. Vielfach trat bei den verschiedenen Elementen die Ideologie zurück, um den Anschein einer Kontinuität zu erwecken und größere Zustimmung in der Bevölkerung insgesamt zu erwirken. Dass nach 1933 das kurze Kapitel des deutschen Kolonialismus in Reden, vor allem aber in populärkulturellen Umsetzungen weiterhin thematisiert wurde, zählt zu diesen scheinbar traditionell deutschen und eben nicht nationalsozialistischen Elementen. Das Thema eines deutschen Überseekolonialismus setzte sich nach dem Verlust der Kolonien 1918/19 in bereits etablierten Medien und Formaten wie Jugendzeitschriften, Groschenheftserien oder Reklamesammelbildern fort und erlebte in den dreißiger und frühen vierziger Jahren mit einer beachtlichen Zahl an Dokumentar- und Spielfilmen sogar eine noch höhere Präsenz in der Populärkultur. Dieses Projekt untersucht die Topoi, die in den verschiedenen Medien transportiert wurden, um Menschen für das Regime zu mobilisieren, und lässt dabei das Potenzial des Kolonialen als Inbegriff des Exotischen hervortreten.

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3. Lärm machen. Geräuschkulissen, (Hör-)Erfahrungen und soziale Akustik in Erfurt, Essen und Birmingham (1910-1960)


Hören und die (Hör-)Erfahrung von Geräuschen in den drei Industriestädten Erfurt, Essen und Birmingham stehen im Blickpunkt dieses Forschungsprojektes. Dabei geht es um Diskurse, Praktiken und Wissensbestände sinnlicher Wahrnehmung und deren Wandlung in der Zeit zwischen 1880 und 1960. Lärm zu machen, wird dabei als eine Praxis verstanden, die Macht und Herrschaft bezeichnet. Sie kann ökonomisch, juristisch, medizinisch, sozial, kulturell, technologisch oder politisch ausgefüllt werden. Ihre Inhalte stammten aus Erfahrungen, Erinnerungen und Erlebnissen des Hörens. Diese schufen unterschiedliche Bestände von (Hör-)Wissen, das menschliches Verständnis von Lärm und Geräusch bis in die Gegenwart geprägt hat. Sie entstehen in Phonotopen, verlaufen auf Hörwegen und enthalten akustische Stoffe, die durch die gesellschaftlichen Aushandlungen mit entsprechenden Wertigkeiten aufgeladen sind. Deshalb sind sie nicht einfach numerische Werte von Schallenergie, die sich in einem Handlungs-, Arbeits- oder Vergnügungsraum oder zwischen Menschen bewegen. Dennoch wurde die soziale Dimension des Hörens, sich Stille-Wünschens und der Lärm-Erfahrung in den Entscheidungen lange Zeit konsequent ausgeblendet. Das förderte unter anderem die Standardisierung von Grenzwerten gerade einmal entlang von (Mindest-)Kriterien, die ökonomische Verwertungen und Gewinnmaximierungen kaum – oder nur mit zeitlicher Verzögerung – einschränkten. Der Schutz von lärmenden Maschinen war lange Zeit gesellschaftlich und wirtschaftlich wichtiger als der Schutz der Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern. Das Projekt erforscht entlang dieses Spannungsfeldes, wie sich konfliktreiche Aushandlungsprozesse um die verschiedenen akustischen Räume in einer Stadt entwickelten.

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4. Kontaktzone Bonn: Praktiken öffentlicher Kommunikation und Verlautbarung in der frühen bundesrepublikanischen Mediendemokratie (1949-1969)


Das Forschungsprojekt untersucht die Praktiken und Vernetzungen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren. Es folgt einer Perspektive, die kultur- und medienhistorische Zugänge mit einer Mentalitätsgeschichte staatlicher Öffentlichkeitsarbeit verknüpft. Im Zentrum der Betrachtungen stehen das Bundeskanzleramt und das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Als titelgebende Ingenieure der Verlautbarung agierten dort Männer, die auf vielfältige Erfahrungswerte in der staatlichen Presse- und Informationsarbeit aus der Zeit des Deutschen Reiches zurückgreifen konnten – vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Ende des nationalsozialistischen Regimes. Insbesondere die Erfahrungen aus den zwölf Jahren der Diktatur und ihrer staatlichen Medienlenkung flossen als Wissensbestände und erprobte Praktiken in die Aufbauarbeit ab 1949 mit ein. So entstand in der jungen Bundesrepublik keineswegs sofort eine Arbeit mit der Presse und der Öffentlichkeit, die den Gepflogenheiten eines liberalen und demokratischen Rechtsstaates sowie den Informationsbedürfnissen einer offenen und kritischen Mediengesellschaft Rechnung getragen hätte. Vielmehr wirkten bestehende Strukturen sowie Akteurinnen und Akteure weiter fort. Sie trafen auf Journalistinnen und Journalisten mit unterschiedlichen Werdegängen, die sowohl sehr ähnlich sein konnten als auch sehr viel mehr geprägt vom anglo-amerikanischen System der public relations. Die daraus resultierenden Prozesse der Ver- und Neuaushandlung von Pressearbeit und Kommunikation zwischen den Regierenden, den Medien und der Öffentlichkeit bilden den Kern der Forschungen, die Kontinuitäten und Brüche im Übergang von der Diktatur zu einem demokratischen Staat offenlegen und einordnen sollen.

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5. Eugenik und Euthanasie in Südwestfalen


Kranke und behinderte Menschen gehören zu den Verfolgten des Nationalsozialismus. In der Zeit des 'Dritten Reiches' wurden sie als Belastung für die deutsche 'Volksgemeinschaft' stigmatisiert, die es zu beseitigen galt. So wurden bereits ab 1934 bis zu 400.000 Menschen gegen ihren Willen sterilisiert, in den Kriegsjahren mehr als 200.000 Menschen in Heil- und Pflegeanstalten ermordet. Dies geschah inmitten der deutschen Gesellschaft, verantwortet von Fachkräften in Psychiatrie, Neurologie, Kindermedizin und anderen Fachdisziplinen, unter Beteiligung von Verwaltungsfachleuten und Pflegekräften. Dieser Thematik war eine Ausstellung in den Gebäuden der Universität Siegen gewidmet, die die Frage nach dem Wert des Lebens als Leitlinie nahm. Sie erzählte die Geschichte von Ausgrenzung, Zwangssterilisationen und Massenmord, beschäftigte sich mit Opfern, Tätern, Tatbeteiligten und Opponenten und fragt schließlich nach der Auseinandersetzung mit dem Geschehen in der Zeit von 1945 bis heute. Die von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde mit exemplarischen Biografien aus Deutschland vorbereitete Wanderausstellung wurde für ihre Präsentation in Siegen von Studierenden des Historischen Seminars der Universität um Lebensgeschichten von Opfern aus der Region Südwestfalen ergänzt. Sie alle dokumentierten eine erschütternde Missachtung des Lebens durch Angehörige von Berufsständen, die sich eigentlich den unbedingten Schutz des Lebens zur Aufgabe gemacht hatten.

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6. Rundfunksäulen und Lautsprecheranlagen


Die akustische Beherrschung des öffentlichen Raumes besaß während des nationalsozialistischen Regimes eine technologische, eine propagandistische und eine auf die Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall zielende Dimension. Rundfunksäulen und Lautsprecheranlagen erzeugten dabei öffentliche ‚Hör-Räume‘. Zeitlich begrenzt, jedoch seriell wiederholbar, ließen sich die Bewohnerinnen und Bewohner zu Zuhörenden machen und zusammenschalten, wobei Zwang und Zustimmung diese Formierungen gleichermaßen begleiteten. Aus der abgelenkten, desinteressierten ‚Masse‘ der Menschen entstand ein lauschendes und Ansprachen vernehmendes ‚Volk‘. Die dahinterstehenden Motive und Interessenlagen von Kommunalpolitik, Unternehmen der Rundfunkindustrie sowie verschiedener Reichsministerien bilden den Kern der Untersuchungen. Das Vorhaben zeigt auf, welche (klang-)ästhetischen Vorstellungen für die Beschallung, Einstimmung und auditorische Beherrschung von Bürgerinnen und Bürgern während des NS-Regimes handlungsleitend und welche Wirkungen das auf Erfahrungen, Erwartungen und Erinnerungen des Hörens damit verbunden waren. Dabei tritt neben die Propaganda als bedeutsamer Faktor die wirtschaftliche Verwertung dieser akustischen Räume. Auf der anderen Seite traf das Angebot bei den Menschen durchaus auf Gegenliebe und eine damit verbundene Bereitwilligkeit, es zu nutzen. Die daraus resultierenden Handlungsspielräume für die verschiedenen Akteursgruppen werden als Teil einer komplexen Wechselwirkung zwischen dem Regime und anderen handlungstragenden Einzelpersonen, Organisationen und Firmen verstanden. Somit leistet das Projekt einen Beitrag zum Verständnis der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung.

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