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Forschungsfeld 3: Praktiken, Diskurse und Wissensbestände des Sinnlichen

Zur Einführung


Tasten, Schmecken, Spüren, Riechen, Hören und Sehen sind menschliche Sinne. Durch sie entziffern Menschen ihre Umwelt und die Formen sozialer und kultureller Interaktionen mit anderen Lebewesen. Wissenschaftliche Untersuchungen über den Gebrauch dieser Sinne bedürfen daher den Zugang zu unmittelbaren Sinneserfahrungen. Lassen sich derartige Erfahrungen in historischen Kontexten überhaupt festmachen? Die geschichtswissenschaftliche Forschung hat im Rahmen einer Sinnesgeschichte hierfür solche Quellen nutzbar gemacht, die als niedergeschriebene oder bildliche Quellen Zeugnis davon ablegen, wie Menschen in vergangenen Zeiten sinnliche Erfahrungen wahrnahmen. Daneben spielen ebenso jene dokumentierten Wissensbestände eine Rolle, die bei der Entwicklung und Aushandlung von Praktiken und Diskursen entstanden und ihrerseits in vielfältigen Formen der Nachwelt erhalten geblieben sind. Über sie lässt sich die Sinnlichkeit von Welterfahrung von Individuen, von einzelnen Gruppen oder ganzen Klassen rekonstruieren und analysieren.

Zu diesem Forschungsfeld zählen folgende Themen:

  1. Der Park in der Metropole. Urbanes Wachstum und städtische Parks im 19. Jahrhundert

  2. Innenräume: Die Entdeckung der Fabrik als touristische Attraktion des deutschen Bürgertums im Übergang zur Moderne

  3. Evolution (in) der Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzung mit einer naturwissenschaftlichen Theorie von Charles Darwin bis heute

  4. Industrielle Revolution - Industrialisierung. Prüfungs- und Basiswissen für Schülerinnen und Schüler

  5. Lärm machen. Geräuschkulissen, (Hör-)Erfahrungen und soziale Akustik in Erfurt, Essen und Birmingham (1910-1960)

  6. Migration und Esskultur. Der Geschmack der Heimat, der Geschmack der Fremde

  7. Rundfunksäulen und Lautsprecheranlagen

1. Der Park in der Metropole. Urbanes Wachstum und städtische Parks im 19. Jahrhundert


Enormes städtisches Wachstum und mit ihr die rapide Veränderung der urbanen Lebenswelt erlangten mit dem Einsetzen der Industrialisierung eine neue Dimension. Die greifbaren Transformationen brachten zahlreiche neue Herausforderungen und eine vielstimmige und fortdauernde Debatte um zentrale Fragen hervor, die mit der modernen Urbanisierung immer drängender wurden. Zu den wichtigsten Fragen zählten jene nach der erträglichen Gestaltung der städtischen Lebenswelt. Wie konnte die Stadt lebenswert sein und bleiben, wie das in ihr versammelte, in der Zusammensetzung stetig wechselnde Menschenkonglomerat in eine Gemeinschaft überführt werden? Was heute Menschen in unterschiedlichen Bereichen wie Politik oder Stadtplanung beschäftigt, zählte schon in früheren Epochen zu einer unüberhörbaren Begleitmusik des sich wandelnden Stadtgebildes. In den massiv expandierenden Metropolen des 19. Jahrhunderts bestand eine Antwort auf die genannten Fragen in dem Versuch, das Land in die Stadt zu holen. Der Blick auf westliche Metropolen wie London, New York, Madrid und Barcelona verdeutlicht das damals international beobachtbare Bemühen, die negativen Seiten des Wandels mit der Einrichtung von Parks, die allen Einwohnerinnen und Einwohner zugänglich waren, auszugleichen oder gar zu beseitigen. Der Aufenthalt in den Grünzonen der Stadt sollte dem Einzelnen und der städtischen Gesellschaft insgesamt Beruhigung, Erdung, Stärkung und Heilung bringen und so letztlich die bestehenden sozialen Verhältnisse stabilisieren helfen.

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2. Innenräume: Die Entdeckung der Fabrik als touristische Attraktion des deutschen Bürgertums im Übergang zur Moderne


Fabriktourismus ist der Allgemeinheit vorwiegend als Phänomen der Gegenwart bekannt, beispielsweise in Form von Besichtigungen von Brauereien oder Produktionsstätten von Automobilen. Tatsächlich wurde die Fabrik im deutschsprachigen Raum jedoch schon ab den 1890er Jahren zunehmend zu einem Ort touristischer Neugier. So wie das Reisen in fremde Länder wurde auch die Erkundung des Unbekannten vor der eigenen Haustür besonders für das Bürgertum interessant. Davon zeugen nicht nur reich bebilderte Berichte in illustrierten Zeitschriften, sondern auch touristische Materialien wie Postkarten mit einem Gruß aus der Fabrik, Ablaufbeschreibungen der Besichtigungen von Besuchsgruppen aus den Akten der Unternehmen und Menükarten von mehrgängigen Festessen, die manche Unternehmen für ihre Gäste ausrichteten. Damit rückten die Besuche in Fabriken auf eine Ebene mit den Reisen in exotische Länder, moderne Metropolen oder den Besuchen von klassischen Anziehungspunkten wie Museen. Die Motive der Besucher und Besucherinnen, das arbeitet das Forschungsprojekt heraus, waren neben der Neugier auf das Fremde, Unbekannte, die Suche nach der eigenen Identität in der fremden Umgebung der Werkshallen. Die Umwandlung des Arbeitsortes Fabrik in eine touristische Attraktion schuf einen neuen touristischen Raum, in dem sich das Bürgertum angesichts der doppelten Herausforderung durch zunehmend aggressiver vorgetragene Ansprüche sozialer Kontrahenten und durch die Krisenerscheinungen im Übergang in die Moderne neu erfand. Die Begegnung mit Technik wurde in diesem Zuge zu einem Spektakel, bei dem es weniger um die sachgerechte Erkenntnis, als vielmehr um das persönliche außerordentliche Erlebnis ging.

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3. Evolution (in) der Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzung mit einer naturwissenschaftlichen Theorie von Charles Darwin bis heute


Als Charles Darwin im Jahr 1859 seine Theorie einer Evolution der Arten durch natürliche Auslese veröffentlichte, sah er bereits eine große Debatte voraus, jedoch nicht deren Ausstrahlungskraft und Langlebigkeit. Das Darwin-Jahr 2009 bot einen guten Anlass, sich diese inzwischen über 150 Jahre hinweg überaus kontroverse und facettenreiche Debatte, ihre Thesen und ihren Verlauf vor Augen zu führen, eine Debatte, die in immer neuen Kontexten mit altbekannten und neuen Argumenten nicht mehr nur in den Naturwissenschaften, sondern längst auch in Politik, Gesellschaft und Kultur geführt wurde. Die Auseinandersetzung mit ihren historischen und aktuellen Ausformungen wurde in einer großen Tagung im September 2009 disziplinübergreifend wissenschaftlich diskutiert. Die Ergebnisse der Tagung flossen in ein umfangreiches Buchprojekt ein, das unter dem Titel Streitfall Evolution. Eine Kulturgeschichte im Oktober 2017 veröffentlicht wurde. Die 40 Beiträge des Bandes richten sich gleichermaßen an Wissenschaftstreibende als auch ein interessiertes Laienpublikum und stellen in sieben Themenfeldern die wissenschaftlichen und populären Debatten rund um das Thema Evolution vor. Neben den Folgen für die Wissenschaften, den Glauben an Gott und die Moralvorstellungen werden Überlegungen über Gesellschaft, Politik, internationale Beziehungen und über Eingriffe bis hinunter auf die Ebene des Individuums und seines Erbmaterials, seiner Gene ebenso thematisiert wie Fragen nach einem vermeintlichen Niedergang des Menschen. Gegenwärtig sind diese Kontroversen noch vielfältiger, beziehen weit mehr Menschen ein als im späten 19. Jahrhundert, haben weit gravierendere Auswirkungen.

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4. Industrielle Revolution - Industrialisierung. Prüfungs- und Basiswissen für Schülerinnen und Schüler


Die im 18. Jahrhundert einsetzende industrielle Produktionsweise veränderte das bis dahin über lange Zeit gleichförmige und überschaubare Leben der Menschen im Laufe von rund hundert Jahren geradezu revolutionär. Die daraus folgenden tiefgreifenden Veränderungen des Wirtschaftens, Arbeitens, Wohnens, gemeinschaftlichen Lebens und sogar des Denkens sind bis in unsere Gegenwart bestimmend. Woher kamen die Neuerungen, die das Leben so grundlegend wandeln sollten? Warum kam die Entwicklung in einem bestimmten Land in Europa in Gang und nicht in einem anderen dort oder auf einem anderen Kontinent? Wie griffen die Veränderungen in der Wirtschaft auf andere Lebensbereiche wie Wohnen, Fortbewegung, Kommunikation und gesellschaftliche Ordnungen und soziales Miteinander über? In Großbritannien nahm die Industrialisierung ihren Anfang, doch war damit ihr weiterer Fortgang etwa in Belgien, Frankreich und den deutschen Staaten keineswegs vorgezeichnet. Jedes Land durchlief den Prozess unter je eigenen Vorzeichen. Diese Publikation nimmt den Verlauf in Großbritannien und den deutschen Staaten bzw. dem Deutschen Reich in den Blick, um daran aus kulturhistorischer Perspektive die Industrialisierung und ihre Folgen in verschiedenen Teilaspekten nachzuzeichnen, die spätestens am Ende des 19. Jahrhunderts in ein ‚nervöses Zeitalter‘ geführt hatten. Dabei wird die historische Darstellung von einer Vorstellung der jeweils zentralen Kontroversen in der Geschichtswissenschaft flankiert.

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5. Lärm machen. Geräuschkulissen, (Hör-)Erfahrungen und soziale Akustik in Erfurt, Essen und Birmingham (1910-1960)


Hören und die (Hör-)Erfahrung von Geräuschen in den drei Industriestädten Erfurt, Essen und Birmingham stehen im Blickpunkt dieses Forschungsprojektes. Dabei geht es um Diskurse, Praktiken und Wissensbestände sinnlicher Wahrnehmung und deren Wandlung in der Zeit zwischen 1880 und 1960. Lärm zu machen, wird dabei als eine Praxis verstanden, die Macht und Herrschaft bezeichnet. Sie kann ökonomisch, juristisch, medizinisch, sozial, kulturell, technologisch oder politisch ausgefüllt werden. Ihre Inhalte stammten aus Erfahrungen, Erinnerungen und Erlebnissen des Hörens. Diese schufen unterschiedliche Bestände von (Hör-)Wissen, das menschliches Verständnis von Lärm und Geräusch bis in die Gegenwart geprägt hat. Sie entstehen in Phonotopen, verlaufen auf Hörwegen und enthalten akustische Stoffe, die durch die gesellschaftlichen Aushandlungen mit entsprechenden Wertigkeiten aufgeladen sind. Deshalb sind sie nicht einfach numerische Werte von Schallenergie, die sich in einem Handlungs-, Arbeits- oder Vergnügungsraum oder zwischen Menschen bewegen. Dennoch wurde die soziale Dimension des Hörens, sich Stille-Wünschens und der Lärm-Erfahrung in den Entscheidungen lange Zeit konsequent ausgeblendet. Das förderte unter anderem die Standardisierung von Grenzwerten gerade einmal entlang von (Mindest-)Kriterien, die ökonomische Verwertungen und Gewinnmaximierungen kaum – oder nur mit zeitlicher Verzögerung – einschränkten. Der Schutz von lärmenden Maschinen war lange Zeit gesellschaftlich und wirtschaftlich wichtiger als der Schutz der Gesundheit von Bürgerinnen und Bürgern. Das Projekt erforscht entlang dieses Spannungsfeldes, wie sich konfliktreiche Aushandlungsprozesse um die verschiedenen akustischen Räume in einer Stadt entwickelten.

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6. Migration und Esskultur. Der Geschmack der Heimat, der Geschmack der Fremde


Ernährung und Migration stellen zwei eng miteinander verflochtene Phänomene dar. Migrantinnen und Migranten nehmen die ihnen jeweils spezifische Art der Ernährung als Teil ihres kulturellen Gepäcks mit auf den Weg in die neue Heimat, nicht zuletzt um sich ihrer eigenen Identität zu vergewissern. Die aufnehmende Gesellschaft erkennt die Migrantinnen und Migranten nicht zuletzt durch ihre Ernährungsgewohnheiten als Andere, als Fremde. Ziel des Forschungsprojekts, das unter anderem in ein Ausstellungsprojekt mit Studierenden mündete, ist es, erstens die identitäts- ebenso wie die differenzstiftende Wirkung von Traditionen im Bereich der Ernährung zu erforschen und zweitens die Überwindung dieser Differenzen im Laufe des Akkulturationsprozesses durch die Veränderung der Ess- und Trinkgewohnheiten der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ebenso wie der Aufnahmegesellschaft zu betrachten. Als konkrete Einwanderungsgruppen stehen die Heimatvertriebenen aus Schlesien nach dem Zweiten Weltkrieg und die Arbeitsmigranten und ihre Familien aus Südeuropa in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts im Fokus. Ihre Wahrnehmungen sollten insbesondere durch Oral-History-Interviews erschlossen werden.

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7. Rundfunksäulen und Lautsprecheranlagen


Die akustische Beherrschung des öffentlichen Raumes besaß während des nationalsozialistischen Regimes eine technologische, eine propagandistische und eine auf die Warnung der Bevölkerung im Katastrophenfall zielende Dimension. Rundfunksäulen und Lautsprecheranlagen erzeugten dabei öffentliche ‚Hör-Räume‘. Zeitlich begrenzt, jedoch seriell wiederholbar, ließen sich die Bewohnerinnen und Bewohner zu Zuhörenden machen und zusammenschalten, wobei Zwang und Zustimmung diese Formierungen gleichermaßen begleiteten. Aus der abgelenkten, desinteressierten ‚Masse‘ der Menschen entstand ein lauschendes und Ansprachen vernehmendes ‚Volk‘. Die dahinterstehenden Motive und Interessenlagen von Kommunalpolitik, Unternehmen der Rundfunkindustrie sowie verschiedener Reichsministerien bilden den Kern der Untersuchungen. Das Vorhaben zeigt auf, welche (klang-)ästhetischen Vorstellungen für die Beschallung, Einstimmung und auditorische Beherrschung von Bürgerinnen und Bürgern während des NS-Regimes handlungsleitend und welche Wirkungen auf Erfahrungen, Erwartungen und Erinnerungen des Hörens damit verbunden waren. Dabei tritt neben die Propaganda als bedeutsamer Faktor die wirtschaftliche Verwertung dieser akustischen Räume. Auf der anderen Seite traf das Angebot bei den Menschen durchaus auf Gegenliebe und eine damit verbundene Bereitwilligkeit, es zu nutzen. Die daraus resultierenden Handlungsspielräume für die verschiedenen Akteursgruppen werden als Teil einer komplexen Wechselwirkung zwischen dem Regime und anderen handlungstragenden Einzelpersonen, Organisationen und Firmen verstanden. Somit leistet das Projekt einen Beitrag zum Verständnis der nationalsozialistischen Herrschaft und ihrer Akzeptanz in der deutschen Bevölkerung.

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